Raecher des Herzens
fürchtete, dass sie hier an diesem Ort deren Platz einnehmen sollte.
»Machen Sie keine Szene. Dafür ist jetzt keine Zeit. Sie werden aussteigen. Jetzt sofort.« Der Befehl war eindeutig. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, zog der Graf die Pistole und richtete sie auf Suzette. Dabei sah er die Zofe nicht einmal an. Er behandelte sie, als sei sie nichts weiter als ein Möbelstück.
Celina raffte die Röcke und stieg aus der Kutsche. Dabei übersah sie die ausgestreckte Hand des Grafen geflissentlich. Aufrecht und mit hoch erhobenem Kopf ging sie, von Suzette gefolgt, die wenigen Schritte bis zur Haustür. Der Graf drängte sich an ihnen vorbei, stieß die Tür auf und trat in das Haus.
In einem Türbogen, der vom vorderen Salon offenbar direkt zum Schlafzimmer führte, erschien eine junge Frau. Ihre weichen Züge waren die eines Mädchens, das die Zwanzig noch längst nicht erreicht hatte. Doch unter ihrem dünnen, seidenen, mit Spitzen besetzten Nachthemd zeichneten sich volle weibliche Rundungen ab. Wie eine Wolke fiel ihr das kastanienbraune Haar um die Schultern, und der Farbton ihrer makellosen Haut erinnerte an altes Pergament. Ihr Blick huschte von Celina zu Suzette und schließlich zu dem Mann in ihrer Begleitung. Der jungen Frau stieg die Röte in die Wangen, während sie verlegen den Kragen des dünnen Nachthemds bis zum Kinn hochzog.
»Monsieur le Comte, ich habe Sie nicht erwartet«, stammelte sie.
»Steh nicht herum, zieh dich an«, kommandierte er. »Ich habe einen Auftrag für dich.«
»Aber ich muss mich um Ihre Gäste kümmern.« Wie jede Frau, die im Nachtgewand überrascht wird, wirkte auch diese junge Dame äußerst unglücklich.
»Hast du mich nicht gehört? Fort mit dir!«, herrschte der Graf sie an. Dabei stieß er sie unsanft zur Tür des Schlafzimmers.
Celina überlegte, ob dieser Unhold seine Geliebte immer so schlecht behandelte, oder ob er das nur jetzt tat, um sie damit einzuschüchtern. Wie dem auch sein mochte, die junge Frau tat ihr Leid, und sie wollte nicht der Grund für diese garstige Behandlung sein. »Wie kommen Sie dazu, die Frau einfach davonzujagen?«
»Ach, Sie möchten gern Zuschauer haben? Oder dachten Sie an eine vergnügliche Runde zu dritt in einem Bett?«
»Etwas so Vulgäres wäre mir niemals eingefallen!«
»Eigentlich schade.«
Der Graf warf seinen Hut auf einen Stuhl und griff dann nach Celinas Arm. Er zerrte sie zu einem kleinen Sofa und drückte sie darauf nieder. Dann ging er zu dem Schreibtisch, der in einer Ecke stand, nahm ein Blatt Papier und einen Federhalter zur Hand und begann zu schreiben. Einige Augenblicke lang war das Kratzen der
Feder auf dem groben Papier das einzige Geräusch im Zimmer.
Celina sah sich um. Der kleine Salon war nicht schlecht eingerichtet. Brokatpolster zierten das Sofa, ein pastellfarbener Teppich und eine hölzerne Kaminumrandung sorgten für Gemütlichkeit. Über dem Kamin hing ein Ölgemälde, das eines der derzeit gern gemalten romantischen Motive zeigte: die Ruine einer römischen Villa. An einem Stuhl lehnte ein Stickrahmen, und in der Luft mischte sich der Geruch eines Kohlenfeuers mit einem Hauch Möbelpolitur, dem Duft von Bienenwachs und von frischem Kaffee. Alles in allem wirkte der Salon zwar nicht opulent, aber doch recht geschmackvoll. Zu ihrer Enttäuschung konnte Celina nirgends einen Schürhaken oder auch nur ein Obstmesser oder einen Brieföffner entdecken. Sie brauchte unbedingt eine Waffe.
Der Graf rollte einen silbernen Tintenlöscher auf seinem Schriftstück hin und her. Als er den Papierbogen zusammenfaltete, fragte Celina: »Was tun Sie da?«
»Ich kümmere mich um unsere Zukunft, wenn Sie es genau wissen wollen.« Damit entzündete er am Kohlenfeuer eine Kerze und versiegelte das Schreiben mit dem tropfenden Wachs.
»Wie meinen Sie das?«
Celina erhielt keine Antwort, denn die Geliebte des Grafen kehrte zurück. Sie hatte sich die Haube unter den Arm geklemmt und nestelte noch hastig an den Knöpfen ihres Kleides. Der Graf drückte ihr den Brief und ein paar Geldscheine in die Hand. »Bring das hier sofort zum Kapitän des Frachtschiffes Paul Emile. Es fährt nach Tampico. Ich habe eine Doppelkabine bestellt. Wir laufen mit der Flut heute Abend aus. Lass dich von dem Kerl nicht übers Ohr hauen. Das Geld muss auch noch für die Droschke reichen.«
Die Augen der jungen Quadroone weiteten sich. »Wir reisen nach Mexiko?«
»Ich reise. Du bleibst hier.«
»Aber Monsieur le Comte
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