Raecher des Herzens
sie bestimmten Mann zu heiraten, geht man nicht gerade zimperlich um. Sie werden eingesperrt oder gar geschlagen. Aber auf jeden Fall gibt man ihnen das Gefühl, ihre Familie im Stich gelassen zu haben. Wenn sich kein anderer Bräutigam findet, enden sie im Kloster oder als Kindermädchen für ihre Neffen und Nichten.«
»Stimmt. Zu einer solchen Entscheidung gehört viel Mut.«
Celina betrachtete die dunklen Schatten auf dem Gesicht des Fechtmeisters. Sie versuchte die Maske zu durchdringen, in die Augen des Menschen zu sehen, der so mit ihr sprach. Es wollte ihr nicht gelingen. Dazu war es einfach zu dunkel im Zimmer. Aber nicht einmal Kerzenlicht hätte geholfen. Dieser Mann war viel zu sehr auf der Hut, um etwas von sich preiszugeben.
»Es geht um den Grafen, nicht wahr?«, sagte sie schließlich. »Was aus mir wird, ist unerheblich, solange Sie nur seine Pläne durchkreuzen können.«
»Sie sollten sich selbst nicht so gering schätzen«, sagte Rio. Der tiefe Klang seiner Stimme war wie ein Streicheln. »Sie sind eine wunderschöne Frau, die etwas Besseres verdient, als an einen Mann verschachert zu werden, der vielleicht nach ihr giert, gleichzeitig aber dafür bezahlt werden will, dass er sie heiratet.«
Diese offenen Worte trieben Celina die Röte ins Gesicht. »Monsieur de Silva, das ist nun wirklich ...«
»Rio«, sagte er. »Wenn man bedenkt, wie vertraut wir hier miteinander sitzen, erscheint mir diese Anrede ein wenig zu förmlich.«
»Sogar Eheleute sprechen einander mit Nachnamen an. Soweit ich weiß, ist diese Sitte noch nicht gänzlich überholt.« Celinas Worte klangen selbst in ihren eigenen Ohren seltsam gestelzt.
»Ja, mag sein.« Rio nahm ihre Hand und führte sie an seine Lippen. Dabei sah er ihr weiterhin ins Gesicht. »Aber wir sind nicht verheiratet. Und außerdem will ich nicht, dass die Frau, die in meinen Armen liegt, mir auf dem Höhepunkt der Leidenschaft einen förmlichen Gruß entbietet.«
»Monsieur de Silva, Rio, ich bitte Sie!«
»Worum? Sie nicht zu berühren? Sie nicht zu nehmen? Hatten Sie es sich anders vorgestellt? Dachten Sie, ich würde darauf verzichten, dass Sie Ihr Versprechen einlösen?«
»Nein. Aber, wie Sie darüber sprechen, erscheint mir so ...« Sie fand nicht die rechten Worte.
»Sie möchten lieber nicht darüber reden? Ist es das? Sie wollen es so schnell wie möglich hinter sich bringen? Sehr schmeichelhaft finde ich das nicht.«
»Was Sie eben sagten, klang so abgeklärt - als handle es sich lediglich um ein Geschäft.«
»Ohne Leidenschaft, ja. Fast wie eine Ehe.«
»Ja, vielleicht. Wollten Sie ... wollten Sie mir das mit Ihren Worten deutlich machen?«
»Schon möglich«, sagte er sanft. »Aber im Augenblick ist das nicht so wichtig.«
Er legte den Arm um Celinas Taille. Ohne Hast zog er sie zu sich heran, bis sie in seinen Armen lag. Warm und besitzergreifend senkte sich sein Mund auf ihren. Seine glatten Lippen passten sich den ihren perfekt an und erweckten sie zu solcher Empfindsamkeit, dass sie zu brennen schienen. Celina spürte Rios schnellen, regelmäßigen Herzschlag unter ihren Fingern, die zwischen ihnen eingeklemmt waren. Die winzigen Stoppeln auf der Haut über seiner Oberlippe kratzten ein wenig. Sie schmeckte seinen süßen Atem. Die Vielfalt der Empfindungen war so verwirrend, dass sich Celina, fast ohne es zu wollen, mit der Hand an Rios Hemdkragen festkrallte. Dabei wusste sie nicht, ob sie ihn wegstoßen oder noch näher zu sich heranziehen sollte.
Und das war noch nicht alles. Mit der feuchten und doch ein wenig rauen Spitze seiner Zunge zeichnete er den Schwung ihrer Lippen nach. Die Zartheit, mit der er dabei vorging, ließ Celina erbeben. Das Atmen wurde ihr schwer. Sie musste die Lippen ein wenig öffnen. Rio nutzte die Gelegenheit, um sich Einlass zu verschaffen. Ein völlig neues, völlig unerwartetes Gefühl ergriff von Celina Besitz. Unendliches Staunen mischte sich mit einer trügerischen Mattigkeit.
Der Kuss war eine Art Test. Trotz aller Verwirrung nistete sich diese Gewissheit sehr schnell in einer entlegenen Ecke von Celinas Bewusstsein ein. Es war, als wolle Rio ihre tiefsten Geheimnisse ergründen, als wolle er sich ihr auf eine Art nähern, wie es noch nie zuvor jemand getan hatte und nie mehr jemand tun würde. Er wollte sie ganz besitzen. Ihr Körper war ihm nicht genug. Sie würde ein Teil von ihm sein, so wie er ein Teil von ihr sein wollte.
Celina spürte die Wärme der Hand, die sich um die weiche
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