Raecher des Herzens
dieses Risiko in einer Zeit ein, in der andere Männer noch davor zurückschreckten.«
Rio schob sich ein wenig näher an sie heran. Er griff nach dem dicken Zopf, der sich dunkel von ihrem weißen Nachthemd abhob. »Sie halten große Stücke auf Ihren Herrn Papa, obwohl er gerade dabei ist, Sie mit einem Mann zu verheiraten, der vom Alter her Ihr Vater sein könnte.«
Das interessante Gespräch hatte Celina völlig vergessen lassen, dass von ihrem nächtlichen Besucher eine Bedrohung ausging. Aber offenbar hatte er sie nur einlullen wollen, damit sie nicht schrie, wenn er über sie herfiel. Nicht, dass sie beabsichtigte zu schreien. Schließlich wusste sie, was sie erwartete.
Dennoch fiel es ihr unendlich schwer, still sitzen zu bleiben, während de Silva die Finger in ihre Haarflechte wob. Es war, als sende jede einzelne Strähne, die er berührte, eine Botschaft an ihre Nervenenden, die sich nach und nach ihrem ganzen Körper mitteilte. Celina versuchte, das Gefühl zu ignorieren. Doch ihr Atem ging schneller, und ihr Herz schlug so heftig, dass sich der feine Stoff des Nachthemdes über ihrer Brust im selben schnellen Takt hob und senkte.
»Fällt Ihnen darauf nichts mehr ein?«, fragte Rio mit leisem Spott.
»Ich ... war das als Frage gemeint?«
»Macht es Ihnen denn gar nichts aus, dass andere über Ihre Zukunft bestimmen?«
»Mein Vater betrachtet es als seine Pflicht, den bestmöglichen Ehemann für mich zu finden: einen Mann, dem man mit Respekt begegnet, der mich achtet und der mir ein Leben in den Umständen bieten kann, die ich gewohnt bin.«
»Das heißt, ausschlaggebend sind seine finanziellen Mittel.«
Celina schüttelte den Kopf. Dabei zerrte sie ein wenig an dem Zopf in seiner Hand. »Nicht unbedingt.«
»Aber es kommt nur ein Mann aus Ihrer eigenen Schicht infrage. Oder einer, der Ihnen zu noch mehr gesellschaftlichem Ansehen verhilft.«
»Aus Ihrem Mund klingt das so kalt!«
Rio blickte auf seine Hände hinab, die inzwischen damit beschäftigt waren, Celinas Zopf zu lösen. Die Haarsträhnen schimmerten im Dämmerlicht. »Mehr als eine kalte Geschäftstransaktion ist es ja auch nicht. Das soll kein Vorwurf sein, denn die Entscheidung liegt offenbar nicht bei Ihnen. Aber haben Sie denn gar keine eigene Meinung? Sind Sie so sehr an Gehorsam gewöhnt, dass Sie glauben, jeden Mann, den Ihr Vater Ihnen präsentiert, lieben und achten zu können? Meinen Sie, es sei gleichgültig, mit wem Sie das Bett teilen, solange er nur der richtigen Schicht angehört und genügend Geld hat?«
»Ich ... ich muss die Entscheidung meines Vaters respektieren. Über Männer weiß er viel mehr als ich.«
»Weil Sie kaum einen Mann kennen, der nicht zur Familie gehört, und nie mit einem allein gesprochen haben, so wie jetzt mit mir.«
Selbst in der Dunkelheit hielt Celina Rios Blick nicht stand. »Das stimmt.«
»Haben Sie schon einmal daran gedacht, dass es Ihrem Vater an Menschenkenntnis fehlen könnte? Oder dass er sich vielleicht von Äußerlichkeiten blenden lässt?«
»Wie können Sie es wagen ...«, begann Celina.
»Und was bedeutet Ihnen Liebe?«, unterbrach Rio
»Was soll damit sein?«
»Sind Sie denn nicht neugierig? Fragen Sie sich nicht, wie es ist, bis über beide Ohren verliebt zu sein, sich nach einem Mann geradezu zu verzehren? Sie wollen doch sonst immer alles ganz genau wissen.«
Natürlich wollte Celina gern herausfinden, was Liebe war, wie sie sich anfühlte, was sie zwischen Mann und Frau bewirken konnte und wie es wohl war, mit einem Mann verheiratet zu sein, dem auch ihr Herz gehörte. Doch solche Träumereien führten zu nichts. Ratlos starrte sie Rio an. Dann fiel ihr ein, was Suzette gesagt hatte: »Eine Frau respektiert ihren Ehemann und Hebt ihre Kinder.«
»Und was macht der Mann?«
»Das ist etwas anderes.«
»Stimmt«, sagte er. Dabei breitete er ihr gelöstes Haar wie einen bronzenen Brustpanzer über dem Nachthemd aus. »Aber soll es so sein? Sollen Liebe und Leidenschaft nicht ihren Platz im Ehebett haben?«
»Es heißt, eine Frau kann lernen, den Mann zu lieben, der für sie sorgt«, sagte Celina fast ein wenig verzweifelt.
»Aber ob es tatsächlich so kommt, weiß niemand«, sagte Rio. Sein Blick hing noch immer an ihrem Haar. »Wollen Sie dieses Risiko wirklich eingehen?«
Sie befeuchtete ihre Lippen. »Was soll ich denn tun? Etwa den Antrag des Grafen ablehnen?«
»Ich fände das sehr vernünftig.«
»Aber was dann? Mit Frauen, die sich weigern, einen für
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