Raecher des Herzens
feines Seidenband geknüpft war. Das zarte Rosa der äußeren Blütenblätter wurde im Herzen der Rose zu der kräftigen Farbe, die bei Sonnenuntergang oft die Wolken erglühen ließ. Am Stängel der perfekt geformten Blüte saßen drei glänzende Blätter. Die Blume wirkte trotz der späten Stunde noch frisch, aber sie war kein Teil von Celinas Abendtoilette gewesen. Sie hatte weder auf ihrem Bett noch sonst irgendwo im Zimmer gelegen. Jedenfalls nicht, bevor Rio de Silva zu ihr gekommen war.
Er hatte ihr ein frisch gepflücktes Pfand hinterlassen. Aber was bezweckte er damit? In der Sprache der Blumen standen Rosen für die Liebe. Sicher meinte de Silva diese Botschaft nicht allzu ernst, es sei denn, Liebe bedeutete für ihn vor allem die Verschmelzung der Leiber.
»Eine kleine Aufmerksamkeit von einem Bewunderer«, sagte Celina. Sie deutete ein gleichgültiges Achselzucken an und versuchte, sich ihre Verwunderung nicht anmerken zu lassen. Bei ihrer nächsten Beichte würde sie einiges aufzulisten haben. Ihre Finger zitterten ein wenig, als sie die Hand nach der Blume ausstreckte.
Denys reichte sie ihr stumm. Auch das war ungewöhnlich, weil er sich sonst keine Gelegenheit entgehen ließ, Celina zu necken oder aufzuziehen. Sie hatte erwartet, dass er wenigstens versuchen würde, ihr die Rose abzuschwatzen.
»Was ist denn los?«, fragte sie, lehnte sich wieder an ihr Kopfkissen und atmete den feinen Duft der Rose ein. »Mortimer sagte, Hippolyte und Albert hätten dich abgeholt. Ich dachte, ihr wärt gemeinsam ausgegangen.«
»Wir spazierten zur Canal Street, aßen dort zu Abend und gingen dann in eine Spielhalle auf der Chartres. Aber ich wünschte, ich wäre zu Hause geblieben oder mit dir und Tante Marie Rose zu Cousine Plauchets Soiree gegangen.«
»Zu einem langweiligen Fest mit lauter Angehörigen?«, fragte Celina mit hochgezogenen Augenbrauen. »Das sieht dir aber gar nicht ähnlich. Bekommst du etwa von der Verletzung Fieber?«
»Nein, ich meine es ernst«, sagte Denys. »Seit dem Duell und mit diesem Ding hier ist alles anders.« Er zeigte auf die schwarze Seidenschlinge, in der er den rechten Arm trug.
»Wie meinst du das?«
»Ach, es ist zu dumm. Eigentlich sollte ich gar nicht darüber sprechen.«
»Denys«, sagte Celina in warnendem Ton.
Er lächelte schwach, dann senkte er den Blick und studierte seinen Verband. »Den ganzen Abend wurde nur über mein Duell mit Monsieur de Silva gesprochen. Jeder, den wir trafen, schien davon gehört zu haben.«
»Das dürfte dich kaum überraschen.«
»Nein, aber alle meinten, es läge nicht an mir, dass ich das Duell überlebt hätte. Man ist sich einig, dass de Silva seinen Kampfgeist verloren hat und ich nur deshalb so glimpflich davongekommen bin.«
»Oh, Din-Din.« Der Kosename aus ihrer Kindheit kam wie selbstverständlich über Celinas Lippen. Sie stellte sich vor, wie sehr der Spott der anderen Männer Denys getroffen haben musste.
Er schüttelte den Kopf. »Es geht mir nicht um mich«, sagte er. »Draußen bei den Zwillingseichen glaubte ich noch, ich täte ihm einfach Leid.«
»Wie kannst du so etwas sagen? Du hast immerhin um dein Leben gefochten, so gut du nur konntest.« Celina war sich fast sicher, dass sie die düstere Laune ihres Bruders indirekt verschuldet hatte. Besonders stolz durfte sie auf die Einmischung in seine Angelegenheiten offenbar wirklich nicht sein.
»Das ist es ja, Lina. Jeder Mann, der irgendwann einmal ein paar Fechtstunden hatte, sieht ziemlich schnell, wer von den beiden Kontrahenten der bessere ist.«
»Und warum zweifelt man dann an Monsieur de Silvas Fertigkeiten?«
»Das tut man nicht. Was man in Frage stellt, ist sein
Wille, über einen Gegner zu triumphieren oder ihn ernsthaft zu verwunden.«
»Dass du mit einer leichten Verletzung davongekommen bist, verdankst du also nicht deinem brillanten Fechtstil, sondern de Silvas Lustlosigkeit?«
Denys lachte grimmig. »So könnte man es ausdrücken, und das macht mich krank. Schließlich hat er sich mir gegenüber mehr als anständig verhalten.«
»Die Meinung der Leute wirst du kaum ändern können.«
»Ja, aber es ist nicht fair, dass er nun darunter leiden
muss.«
»Leiden?« Celina horchte auf.
»Es ist wie mit den Kampfhunden bei einer Bullenhatz. Sobald sie Blut riechen, erwacht die Mordlust in ihnen.«
Diese Vorstellung beunruhigte Celina. »Was willst du damit sagen?«, fragte sie. »Hat jemand Monsieur de Silva zu einem Duell genötigt? Ist es
Weitere Kostenlose Bücher