Raecher des Herzens
sind so schlau wie schön. Erinnern Sie mich bitte in Zukunft daran, mich vorzusehen. Die traurige Wahrheit ist, dass ich nicht genau weiß, warum ich unbedingt herkommen musste. Aber es war mir zugleich völlig unmöglich, mich von Ihnen fern zu halten.«
»Für eine solche Behauptung kennen wir uns noch nicht lange genug«, entgegnete Celina spitz.
»Manchmal reicht schon eine kurze Begegnung.«
Celina beschloss, diese Antwort als plumpe Schmeichelei zu werten, und ging nicht weiter darauf ein. Stattdessen versuchte sie fieberhaft, ihre wirren Gedanken zu ordnen.
Nach einer Weile brach Rio das Schweigen. »Nun, Mademoiselle, wie ist es? Liege ich richtig mit meiner Vermutung? Habe ich den Grund für Ihre Einwilligung in unseren Handel erraten?«
Celina sah Rio einen Augenblick lang an. Dann wandte sie den Blick ab. »Kann es Umstände geben, die es rechtfertigen, etwas Unehrenhaftes zu tun, um damit ein größeres Übel abzuwenden?«
»Werden wir jetzt philosophisch?« Rios Frage klang zögernd, ganz so, als brauche auch er Zeit zum Nachdenken.
»Ich dachte, diese Art von Versuchung sei Ihnen vertraut. Mit Ihren Fertigkeiten wäre es doch ein Leichtes, so manche Ungerechtigkeit zu rächen, die Sie erdulden müssen, und Leute, die Ihnen im Wege sind, beiseite zu räumen. Was hält Sie davon ab?«
»Vieles«, antwortete er. »Vor allem aber mein Selbsterhaltungstrieb. Ich verspüre nämlich wenig Lust, eines sonnigen Freitagmorgens auf dem Place d’Armes als Mörder gehenkt zu werden.«
Celina hob eine Augenbraue. »Und das soll ich Ihnen glauben?«
Er gab ihr keine Antwort. Stattdessen neigte er den Kopf zur Seite und horchte. Dann ließ er sie los und erhob sich vorsichtig von ihrem Bett. »Es tut mir Leid, aber wir müssen diese anregende Diskussion ein ander-mal fortsetzen. Gerade ist jemand durch die Pforte getreten und kommt nun die Treppe herauf.«
»Sie gehen?« Celina konnte ihr Staunen nicht verbergen.
»Wollen Sie, dass ich bleibe?«
»Das habe ich nicht gesagt!«
Rio lachte leise, griff nach ihrer Hand und führte sie an die Lippen. Celina spürte die Berührung wie einen warmen Hauch an den Fingerknöcheln. Er ließ ihre Hand sinken. »Ich werde mir einfach einbilden, Sie hätten es getan.«
Selbst wenn Celina noch Zeit geblieben wäre, hätte sie darauf nichts zu sagen gewusst. Nun hörte auch sie die Schritte und ein Murmeln. Mortimer ließ jemanden ins Haus, und kurz darauf klopfte es leise an ihrer Tür.
Fünftes Kapitel
Lina? Bist du noch wach?«
Es war Denys. Celina wandte sich nach Rio um. Er stand bereits an der Balkontür und hatte sich so lautlos bewegt, dass sie fast überrascht war, ihn dort zu sehen. Mit der zusammengerollten Peitsche und der Gitarre in der Hand schob er sich geschmeidig ins Freie. Offenbar nannte man ihn nicht umsonst den Silbernen Schatten. Dann war er endgültig verschwunden. Mit zwei leisen Klicktönen schlossen sich die Balkontür und der Fensterladen hinter ihm.
»Du bist ja schon zurück, cher!«, rief Celina ihrem Bruder zu. »Tut dir der Arm weh?«
Die Tür ging auf, und das Licht der Kerze, die Denys in der linken Hand hielt, fiel ins Zimmer. »Nicht allzu sehr. Ich habe dich doch nicht geweckt?« Er sah sich um. »Der alte Mortimer sagte, er habe gerade noch deine Stimme gehört.«
»Wahrscheinlich, als ich meine Gebete sprach«, sagte Celina. Stumm bat sie für diese Lüge um Vergebung. »Aber einerlei, ich bin ohnehin nicht richtig müde.«
»Gut.« Denys ließ die Tür offen stehen und stellte die Kerze in den silbernen Halter auf Celinas Nachttisch. Dann lehnte er sich an den hohen Bettpfosten aus Rosenholz.
Es war nicht ungewöhnlich, dass Denys seiner Schwester nachts, wenn er nach Hause kam, einen kurzen Besuch abstattete. Seit ihr älterer Bruder nicht mehr lebte, war sie seine engste Vertraute. Er erzählte ihr gern, wo er gewesen war, wen er getroffen hatte und was in der Stadt geredet wurde. Meist plauderte er, bis er müde wurde. Dann ging er zu Bett. Denys war ein begnadeter Schauspieler und hatte einen großartigen Sinn für Humor. Oft brachte er Celina mit Anekdoten zum Lachen, die er so lebendig nachspielte, dass sie glaubte, den Vorfall selbst miterlebt zu haben. Doch an diesem Abend erschien er ihr ungewöhnlich ernst.
Bevor sie ihren Bruder fragen konnte, wo er gewesen sei, beugte er sich vor und hob etwas vom Bett auf. »Was ist das? Dein Kopfschmuck von der Soiree?«
Er hielt eine Rosenblüte in der Hand, an die ein
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