Raecher des Herzens
Mann, der nicht ganz so alt ist«, sagte Celina nachdenklich. »Und ein bisschen schöner dürfte er auch sein.«
»Im Dunkeln ist es einerlei, wie er aussieht, chere. Außerdem wird dich ein älterer Mann früher zur Witwe machen. Und dann ist da noch das Haus in der Rue des Rampart, das der Graf angeblich gekauft hat. Du solltest dich nicht grämen, wenn er die Besuche bei seiner Quadroone nach eurer Hochzeit nicht aufgibt. Ein solches Arrangement hat durchaus Vorteile.«
In diesem Augenblick trat Mortimer ins Zimmer. Er brachte ein silbernes Tablett mit einer Karte. Es war die erste an diesem Morgen, doch auf der Marmorplatte des Sideboards im Salon lagen schon Dutzende davon. Jede Karte verpflichtete die Empfängerin zu einem Höflichkeitsbesuch. Erleichtert machte sich Tante Marie Rose daran, die günstigste Reihenfolge für die morgendliche Besuchsrunde zu planen.
Bald hatten sich die Damen angekleidet. Sie würden drei Besuche machen und auf dem Rückweg noch einen Blick in eine Buchhandlung werfen. Celina wäre lieber zu Hause geblieben, aber das ging nicht. Die Besuche fanden vor allem ihr zuliebe statt. Sie wurde den einflussreichen reiferen Damen vorgestellt, die in der besseren Gesellschaft den Ton angaben. In diesen Kreisen sollte auch sie eines Tages als verheiratete Frau ihren Platz finden. Celina machte sich keine großen Gedanken darüber, was man an einem solchen Vormittag trug. Sie zog einfach an, was Suzette für sie herausgelegt hatte. Heute war es eine Redingote in aschgrauer, auch coleur cendre genannter Seide. Das Oberteil war geschnitten wie die Weste eines Gentlemans. Darunter trug man eine plissierte Bluse, deren Ärmel an den Schultern ziemlich weit waren, an den Handgelenken jedoch eng anlagen. Am Vorderteil des Rockes befanden sich einige dezente Verzierungen. Suzette hatte Celina das Haar in der Mitte gescheitelt und aufgesteckt. Über der Frisur trug sie eine Haube aus Reisstroh, die mit grauen Seidenbändern durchwoben und mit gelben und lavendelfarbenen Blüten bestickt war. Als Letztes zog sich Celina feine gelbe Handschuhe über und folgte dann der Tante die Treppen hinunter und in die Kutsche.
Nach drei endlos langen Stunden, zahllosen Gläsern Orangenblütenwasser, glacierten Veilchen, Petits Fours und Kuchen, die nach Zuckersirup und Orangenschalen schmeckten, kehrten sie nach Hause zurück. Celinas Nerven waren arg strapaziert worden. Das endlose Geschnatter über Nebensächlichkeiten und die detailgenaue Beschreibung aller Arten von Krankheiten und
Zipperlein langweilte sie zu Tode. Derzeit war es offenbar Mode, mit seiner schlechten Konstitution hausieren zu gehen. Celina riss sich die Haube vom Kopf und warf sie gemeinsam mit ihrem Kartentäschchen auf eine Kommode. Gerade wollte sie zur Klingelschnur greifen, da trat Suzette in ihr Zimmer.
»Sag mir schnell, gibt es Neuigkeiten?«, fragte Celina hastig.
Ein eigentümliches Lächeln huschte über Suzettes Gesicht. »Ja, die gibt es, wenn du die Zeichen richtig lesen kannst.«
»Und das heißt?«
»Das hier wurde für dich abgegeben, mit der Anweisung es dir erst zu zeigen, wenn du allein bist.«
Die Zofe zog die Hand zwischen den Falten ihres bauschigen Rockes hervor. Sie hielt Celina eine weiße Papierrolle hin, die mit einer Schnur zusammengebunden war.
Celina nahm die Rolle entgegen und löste die Verschnürung. Zum Vorschein kam ein Seidenband. Es war um eine Rose geschlungen, die derjenigen, die Rio ihr in der vergangenen Nacht gebracht hatte, zum Verwechseln ähnlich sah. Celina schloss die Augen und flüsterte: »Gott sei Dank.«
» Mam’zelle ?«
Der fragende Ton in Suzettes Stimme ließ Celina aufblicken. »Ich bin unendlich erleichtert. Wer wäre das an meiner Stelle nicht? Den Tod des Fechtmeisters verschuldet zu haben, würde mein Gewissen schwer belasten.« Nach einer kurzen Pause fragte sie: »War von Verletzungen die Rede?«
»Monsieur de Silva ist unversehrt, was man von seinen Herausforderern nicht unbedingt behaupten kann. Der erste Gegner trug eine ähnliche Verwundung davon wie Denys. Dem zweiten wurde die Schulter durchbohrt. Der dritte ist im Gesicht verletzt, aber offenbar nicht lebensgefährlich. Den vierten setzte ein Stich in die Lunge außer Gefecht. Ein Arzt kümmert sich um ihn und meint, er werde wohl davonkommen, wenn die Heiligen ein Einsehen haben. Die ganze Angelegenheit dauerte nicht einmal eine Stunde.«
Celina knotete vorsichtig das Seidenband auf. Nachdenklich betrachtete
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