Raecher des Herzens
anderen unguten Gefühlen?«
»Was meinst du damit?«
»Ich weiß nicht. Zu Misstrauen vielleicht.«
»Misstraust du ihm denn?« Celina sah ihren Bruder aufmerksam an. Sie versuchte zu erraten, woran er dachte. Das war schwierig, denn er wich ihrem Blick aus.
»Ich kann nicht vergessen, wie er beiseite trat und mich damit geradezu zwang, Monsieur de Silva an seiner Stelle herauszufordern. Dabei war de Silvas Bemerkung eigentlich für seine Ohren bestimmt. Aber Papa wird schon wissen, warum er den Grafen zum Schwiegersohn haben möchte.«
»Ich wünschte, ich könnte das auch so sehen.« Celina zögerte. Dann sprach sie hastig weiter. »Der Graf hat einen großen Einfluss auf Papa.«
»Ja, das ist mir auch aufgefallen. So viel hat er sonst nie gespielt.« Denys’ jungenhaftes Gesicht war grimmig geworden.
»Außerdem unterhält Papa einen zweiten Haushalt.«
»Ich war nicht sicher, ob du davon weißt.«
»Oh, man hört so einiges.« Suzette brachte stets den neuesten Tratsch mit nach Hause. Außerdem hatte sich Celina inzwischen ihren eigenen Reim auf die häufige Abwesenheit des Vaters gemacht.
»Er scheint der Dame sehr zugetan zu sein.«
Das Unbehagen, das sich in Denys’ Zügen spiegelte, zeigte, wie geschmacklos er es fand, über die Geliebte seines Vaters zu sprechen. Doch Celina sah keinen Grund zur Zurückhaltung. Immerhin würde der Vater in diesen Tagen über ihre Zukunft entscheiden, und außerdem unterhielten sie sich ja nicht über die amourösen Abenteuer ihres Zukünftigen. Um diese musste sie sich im Augenblick zum Glück noch keine Gedanken machen.
»Ist sie schön?«, fragte Celina.
»Ja, sie ist eine der hübschesten Quadroonen der Saison. Dazu eine sehr angenehme Person, wirklich liebenswert.«
»Du kennst sie?«
»Flüchtig«, sagte Denys mit einem verlegenen Lächeln.
Er musste sie auf einem der Quadroonenbälle gesehen haben, auf denen sich junge Damen, in deren Adern ein Viertel schwarzes Blut floss, präsentierten. Vielleicht hatte Denys sogar selbst ein Auge auf sie geworfen. Es war nicht ungewöhnlich und galt nicht als unschicklich, wenn Väter ihren Söhnen den Weg zu diesen Damen wiesen. In Paris wohnten in der Nähe von Notre-Dame de Lorette die so genannten Lorettes, in deren Fenstern kleine Laternen standen. In New Orleans richtete man seinen farbigen Mätressen in bestimmten
Vierteln kleine Wohnungen oder Häuser ein. Beide Arrangements dienten vor allem einem Zweck: Hier konnten sich begüterte junge Männer die Hörner abstoßen und kamen deshalb nicht auf die Idee, sich jungen Damen aus gutem Hause auf unschickliche Weise zu nähern. Für die Quadroonen lohnte sich die Sache vor allem in finanzieller Hinsicht. Das Haus, in dem sie den betreffenden Gentleman empfingen, wurde in ihrem Namen erworben, und sie erhielten einen bestimmten Betrag, der etwaigen Kindern aus der Verbindung zugute kam. Normalerweise - aber längst nicht immer - endeten diese Verhältnisse mit der Heirat des jungen Mannes. Dass sich ältere Männer eine Quadroone hielten, war eher die Ausnahme und galt als etwas anrüchig.
»Ich bin froh, dass Papa ein kleines Glück gefunden hat«, sagte Celina. »Aber etwas seltsam finde ich sein Verhalten schon. Seit Maman durch das Fieber ums Leben kam, schien die Familie ihm alles zu bedeuten.«
»Die Trauerzeit ist zu Ende, und ich glaube ...«
»Was?«
»Er merkt, dass er alt wird, fühlt die Schmerzen in seiner Brust und hört vielleicht manchmal schon die Schritte des Sensenmannes nahen, will es aber nicht wahrhaben. Eine Mätresse gibt ihm das Gefühl, noch einmal jung zu sein.«
»Armer Papa.« Sie alle hatten sehr unter den Todesfällen in der Familie gelitten. Denys versuchte seither mit aller Macht, die Stelle seines älteren Bruders als Beschützer der Familienehre einzunehmen. Sicher hatte er auch deshalb Monsieur de Silva herausgefordert.
»Bestimmt besinnt er sich eines Tages. Und so lange müssen wir es eben hinnehmen.«
»Ja, das glaube ich auch.« Celina schenkte dem Bruder ihr süßestes Lächeln. »Aber wie ich schon sagte, er ist zurzeit sehr beschäftigt. Von dem, was wir Vorhaben, wird er gar nichts merken.«
Denys schüttelte den Kopf. »Oh Lina, du konntest mich schon immer um den Finger wickeln.«
Sie strahlte ihn an. »Ich fürchte, du hast Recht.«
Denys zog sie an sich. »Nur deshalb leben wir beide noch und sind gesund und munter. Das haben wir dir und deinem Dickkopf zu verdanken.«
»Wenn ich nicht darauf
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