Raecher des Herzens
heimlich wie ein Dieb. Doch das war ihm längst nicht mehr genug.
»Vielleicht ist es doch besser, wenn sich heute Abend keiner mehr mit dir anlegt«, sagte Caid. Er musterte seinen Freund mit hochgezogenen Augenbrauen. »Der arme Teufel könnte sich sonst aufgespießt und geröstet als dein Frühstück wiederfinden.«
»Schon möglich«, antwortete Rio nicht ohne Schärfe. Gerade verbeugte sich ein als Kardinal verkleideter Schönling vor Celina Vallier.
Caid folgte Rios Blick und formte die Lippen zu einem stummen Pfiff. »Ist das nicht ...?«
»Ja.«
»Warum ist sie hier?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Aber ich glaube, du wüsstest es gern. Soll ich es für dich herausfinden?«
»Nein«, sagte Rio barsch. »Lass es sein, wenn dir an unserer Freundschaft gelegen ist.«
Erstaunt sah Caid ihn an. »Du überraschst mich. Ich dachte, du interessierst dich nur für ihren Zukünftigen.«
»Die Dinge haben sich geändert.«
»Das sehe ich. Und wie kam es dazu?«
»Das geht nur die Dame und mich etwas an.«
»Ob der Graf wohl etwas davon ahnt?«, fragte Caid. Er kniff nachdenklich die Augen zusammen.
»Bis jetzt nicht, und so soll es auch bleiben.«
»Dann hör lieber auf, sie so anzustarren, sonst pfeifen es morgen die Spatzen von den Dächern.«
Das war sicherlich ein guter Rat. Nur leider wusste Rio nicht, ob er ihn auch befolgen konnte.
Behütete junge Damen wie Celina Vallier zeigten sich für gewöhnlich nicht auf öffentlichen Maskenbäl-len. Dass sie in Begleitung ihres Bruders dennoch gekommen war, musste etwas zu bedeuten haben. Den Grund für Celinas Kommen herauszufinden und sich gleichzeitig von ihr fern zu halten, stellte eine fast unlösbare Aufgabe dar. Rio wollte diese ungewöhnliche junge Frau auf keinen Fall kompromittieren. Warum sollte er in der Öffentlichkeit tun, was ihm in der Verschwiegenheit ihres Schlafgemachs bisher noch nicht gelungen war?
Der Abend nahm seinen Lauf. Titi Rosiere und Bastile Croquere gesellten sich zu Rio und Caid. Jemand schlug ein Kartenspiel vor. Caid willigte ein, Rio lehnte ab. Damit fehlte ihm ein plausibler Grund, noch länger auf dem Ball zu bleiben. Doch wie hätte er seinen Kumpanen erklären sollen, dass er Wache stand und seinen Posten nicht verlassen konnte?
Es wurde immer voller im Saal. Rio hatte nichts dagegen. Auf diese Weise war es einfacher, sich in der Menge zu verbergen. Er zog eine Maske aus der Tasche seines Fracks. Natürlich bildete er sich nicht ein, damit unerkannt zu bleiben. Aber die Maskierung erlaubte jedem, der Rio aus dem Weg gehen wollte, so zu tun, als wisse er nicht, wer er sei.
Kerzenqualm, Parfüm und der muffige Geruch von Kampfer sorgten für stickige Luft. Mit dem Kampfer hielt man Motten und andere Plagegeister fern, die in dem beinahe tropischen Klima Seide und Wollstoffe über Nacht ruinieren konnten. Der Wein und der Punsch, die man im angrenzenden Raum ausschenkte, waren nur soeben genießbar, doch die Polkas, Walzer und Quadrillen wurden von einem exzellenten Orchester intoniert. Es bestand aus gern de couleur libre, farbigen und doch freien Männern, wie man die Schwarzen und Mulatten nannte, die keine Sklaven waren. Getanzt wurde ausgelassen, aber nicht übermäßig anstößig. Unter den Gästen befanden sich sogar einige örtliche Größen. Der Bürgermeister selbst war erschienen, dazu eine Anzahl wichtiger Geschäftsleute, die ihre Läden und Büros in dem amerikanischen Viertel mit dem Namen Faubourg Ste. Marie oberhalb der Canal Street hatten.
Die Mehrzahl der Besucher war allerdings nicht von solch einer Bedeutung, und je später es wurde, desto größer wurde diese Gruppe. Man rottete sich zu lärmenden Rudeln zusammen, in der Mitte meist ein oder zwei maskierte Damen, deren Verhalten zu gewissen Zweifeln an ihrer Tugendhaftigkeit berechtigte. Sie tanzten mit ausladenden Bewegungen, tranken ein wenig zu viel, redeten und lachten zu laut. Hin und wieder sorgten sie innerhalb ihrer Gruppen für Gezänk und mussten von den Gentlemen, die als Gastgeber des Balls fungierten, beruhigt werden.
Nach einiger Zeit verließen die respektableren Gäste den Ball. Rio ging davon aus, dass auch Denys Vallier seine Schwester nun bald nach Hause bringen würde. Doch die beiden blieben. Ein paar Mal sah er sie heftig miteinander flüstern, so als wären sie sich nicht ganz einig. Am liebsten hätte er selbst den jungen Mann daraufhingewiesen, dass es Zeit wurde zu gehen. Nur mit Mühe hielt sich Rio zurück. Denys
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