Raecher des Herzens
einen tumben Toren handeln.«
»Ich wäre lieber berühmt als berüchtigt«, sagte Rio grimmig. Er und Caid waren, was die Duelle betraf, einer Meinung. Sie kannten sich erst seit ein paar Wochen, denn beide waren noch nicht lange in der Stadt und hatten sich erst kürzlich mit ihren Studios in der Passage de la Bourse niedergelassen. Caid war ein unkomplizierter Mensch, der weder Neid auf seine Konkurrenten noch Missgunst kannte. Ehrlich und geradlinig wie er war, hatte er für die Fechtinstruktoren, die mit windigen Werbeaktionen Kunden anlockten oder diese gar anderen Maitres abspenstig machten, nur Verachtung übrig. Sicher hatte auch Caid seine Geschäftsgeheimnisse, aber er fiel nie durch gespreiztes oder prahlerisches Verhalten auf. Für Rio war er inzwischen ein guter Freund und ein angenehmer, oft sogar recht amüsanter Begleiter.
»Berüchtigt bist du längst, ob es dir gefällt oder nicht«, erwiderte er trocken. »Mit etwas Glück läuft dir bis morgen noch ein halbes Dutzend Herausforderer über den Weg. Nicht jeder ist schlau genug, das, was heute bei Tagesanbruch unter den Eichen geschah, als Warnung zu deuten.«
»Eigentlich hatte ich nicht vor, diesen Auftritt zu wiederholen. Ich würde gern wieder einmal länger schlafen als bis fünf.«
»Ja, ich muss zugeben, du siehst inzwischen ein wenig mitgenommen aus.«
Geistesabwesend beantwortete Rio Caids Frotzelei mit einem Nicken. Gebannt hing sein Blick am Eingang des Ballsaals. Gerade waren ein Mann und eine Frau eingetreten. Beide trugen Masken, aber längst nicht so aufwändige Kostüme wie viele andere Gäste. Der Mann war schlank, sein rechter Arm lag in einer schwarzen Schlinge. Es handelte sich eindeutig um Denys Vallier. Aber auch ohne Schlinge und Verband hätte Rio ihn sofort erkannt, und zwar an der Frau, die ihn begleitete.
Celina Vallier trug ein strohgelbes Seidenkleid mit einer im griechischen Stil drapierten Korsage. Eine goldene Samtmaske bedeckte den oberen Teil ihres Gesichts. Ihr Haar war zu einer Krone aus Locken aufgesteckt und schimmerte im Licht der Kandelaber. Der seidige Glanz ihrer Haut und der perfekte Schwung ihrer Lippen waren für Rio nur allzu vertraute Versuchungen. Aber nicht allein äußere Merkmale sorgten dafür, dass er Celina sofort erkannte. Es war das seltsame Kribbeln, das er plötzlich spürte, das instinktive Gefühl des Jägers, der Beute wittert.
In diesem Augenblick war Celina in Rios Nähe angekommen und fing seinen Blick auf. Hinter der Maske wirkten ihre Augen dunkel und mysteriös. Einen Herzschlag lang glaubte Rio, in ihnen eine Botschaft zu erkennen, die allein für ihn bestimmt war. Celinas behandschuhte Finger berührten die beiden Rosen, die ihre Frisur schmückten. Zwei Seidenbänder waren um die Lockenkaskade geschlungen, die ihr seitlich auf die Schulter fiel.
Seine Rosen. Seine Bänder. Sie hatte sich damit geschmückt.
Celina stand reglos da und sah ihn an. Obwohl sie gar nichts tat, hämmerte Rios Herz plötzlich fast schmerzhaft, und sein Nacken wurde heiß wie im Fieber. Er verspürte den nahezu unwiderstehlichen Drang, zu ihr zu gehen und sie an einen verschwiegenen Ort zu verschleppen, wo er sie genüsslich aus ihrem Kostüm schälen konnte. Ihr sollte vor drängendem Verlangen ebenso heiß werden, wie es ihm jetzt war.
Rio machte einen schnellen Schritt in Celinas Richtung, bevor ihm klar wurde, wie töricht er sich benahm. Er erstarrte mitten in der Bewegung. Er wollte sie. Ja, bei Gott, er wollte sie mehr als alles auf der Welt. Aber damit nicht genug. Rio wusste nicht warum, aber inzwischen war Celina für ihn zu einer Art Symbol für all das geworden, was er verloren hatte. Sie war die Unschuld und die Hoffnung, verkörperte Freiheit und Freude, Gunst, Ansehen und all die anderen schon halb vergessenen Tugenden und Privilegien, die auch er einst genossen hatte. Doch vom Schicksal gebeutelt, blutbefleckt und unwiderruflich declasse wie er war, durfte er sie niemals besitzen, durfte auf sie genauso wenig Anspruch erheben wie auf sein verlorenes Erbe.
Celinas Körper konnte er haben, das wusste Rio inzwischen. Er konnte in ihr jungfräuliches Schlafzimmer eindringen und sich ohne Rücksicht auf die Folgen holen, was sie ihm versprochen hatte. Dazu hatte er jedes Recht, denn er hatte seinen Teil der Abmachung erfüllt. Noch in dieser Nacht konnte er zu ihr gehen, ihr die Gewänder abstreifen und sie nehmen. Er konnte sie tatsächlich haben - aber nur ein einziges Mal und
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