Rächerin der Engel
aber das werde ich herausfinden.«
Bree runzelte die Stirn. »Haben Sie Fotos vom Tatort?«
»Ich habe einen ganzen verdammten Film vom Tatort. Das Opfer liegt seitlich auf dem Fußboden, an der Vorderseite des Schreibtischs sind Schrammen, die von seinen Hacken stammen – ja, sieht alles eindeutig aus.«
»Aber?«, hakte Bree nach.
»Aber es gibt drei Dinge, die nicht dazu passen. Erstens: Die obere Hälfte seines Abschiedsbriefs ist abgerissen worden … wo also befindet sich dieser Teil? Zweitens: Das Überwachungssystem im Penthouse war abgeschaltet, so dass wir keine Aufnahme von dem Vorfall haben, sondern nur die Aussage dieser Leute, die schwören, dass sich das Ganze so und nicht anders abgespielt hat. Und drittens: In der Nähe der Leiche finden wir das Bruchstück einer Kugel vom Kaliber 22.«
Eddie lehnte sich zurück. »Wie schon gesagt: Für sich genommen hören sich diese Dinge ganz belanglos an. Wenn man sie aber zusammen betrachtet, sieht die Sache schon ganz anders aus.«
»Haben Sie Mrs. O’Rourke zu diesen Unstimmigkeiten befragt?«
»Na klar. Und sie hatte für alles eine Erklärung. O’Rourke war zwar der zehntreichste Mann der Welt, hat aber jeden Fetzen Papier aufgehoben. Reißt das obere Drittel einer Seite ab, weil sie nur zum Teil beschrieben ist, und hebt den Rest für Notizen und dergleichen auf. Zweitens: Das bekackte Penthouse ist so sicher, dass sie eigentlich keine Überwachungsanlage brauchen, die deshalb häufig ausgeschaltet bleibt. Und drittens: Sie hat keine Ahnung – absolut keine Ahnung –, woher das Kugelbruchstück stammen könnte.«
»Aber getötet hat ihn doch ein Schuss aus einer Flinte mit Kaliber 12. Ich verstehe nicht ganz, was die Kugel vom Kaliber 22 damit zu tun haben soll.«
»Sie werden’s schon noch verstehen«, erwiderte Eddie zuversichtlich.
»Verstehen Sie es denn?«, fragte Bree.
»Noch nicht. Aber ich arbeite dran.« Er strich sich mit den Händen über den Kopf. »Ja. Ich arbeite dran.«
Bree behielt ihre Skepsis für sich. Hunter hingegen schüttelte den Kopf. »Ich hab da so meine Zweifel, Ninja. Ich weiß zwar, dass du einen guten Riecher hast, aber zwischen dem, was man weiß, und dem, was man beweisen kann, besteht ein großer Unterschied. Ich weiß, du bist deiner Sache sicher. Und dennoch …« Er verstummte. Spannungsvolle Stille breitete sich am Tisch aus.
Bree spürte, wie das Handy in ihrer Jackentasche vibrierte. Sie entschuldigte sich und entfernte sich ein Stück vom Tisch. Es war eine SMS von Ron:
TREFFEN MIT PROF ZWEI UHR
Sie blickte auf ihre Armbanduhr. Professor Cianquino wohnte außerhalb der Stadt, im Erdgeschoss eines alten Plantagengebäudes, das in Apartments umgewandelt worden war. Wenn sie den Lunch vorzeitig beendete, blieben ihr noch zwanzig Minuten, um dort hinzufahren. Treffen mit ihrem ehemaligen Professor waren mehr oder weniger Pflichtübungen. Sie schrieb an Ron zurück: O.K. und ging zum Tisch, um sich zu verabschieden.
»Ich muss auch aufbrechen«, sagte Eddie. »Danke für die Pizza.«
»Ich habe Ihnen Pecannuss-Schnecken versprochen«, erwiderte Bree, »und Hunter weiß, dass ich immer Wort halte. Sind Sie noch eine Weile in der Stadt?«
»So lange wie erforderlich.«
Bree nickte. »Vielleicht können wir uns an einem der nächsten Tage noch mal zusammensetzen und miteinander reden, Eddie.« Sie warf einen Blick auf Hunter, der bei diesen Dingen sehr pingelig sein konnte. »Vielleicht dürfte ich sogar einen Blick in die Unterlagen werfen?«
»Klar. Würde mich freuen, mit jemand anderem über den Fall zu sprechen.«
»Bestehen Sie immer noch darauf, Tully O’Rourke als Klientin zu haben?«, mischte sich Hunter ein.
»Ich bestehe auf gar nichts«, erwiderte Bree freundlich. »Aber im Augenblick fühle ich mich dazu verpflichtet.«
»Verpflichtet?«, wiederholte Eddie. »Versteh ich nicht.«
Bree dachte an den jämmerlichen Hilfeschrei zurück: Ich will nach Hause.
»Ich vermute, Mrs. O’Rourke glaubt, Bree hat etwas Einzigartiges zu bieten«, sagte Hunter. »Und vielleicht hat sie ja recht.«
»Schon möglich.« Bree warf einen Blick auf die Rechnung (bei Huey’s bekam sie die Rechnung immer zusammen mit dem Essen) und legte das Geld auf den Tisch. Während sie nach Melrose hinausfuhr, ging ihr Hunters Schlussbemerkung ständig durch den Kopf.
Bree hat etwas Einzigartiges zu bieten.
Bei Gelegenheit musste sie ihn fragen, was er damit gemeint hatte.
Tell me before you get onto your
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