Rächerin der Engel
Auftragsdienst entgegennehmen, zumindest so lange, wie wir uns noch keine Vollzeitkraft leisten können. Und dann sind da noch diese absolut grässlichen Möbel. Ich habe bei Second Hand Rows schon ein paar viel hübschere Sachen ausfindig gemacht. Sobald der Mietvertrag unter Dach und Fach ist, lass ich sie anliefern.« Er setzte sich an seinen Schreibtisch und griff nach dem Telefon. »Haben Sie heute Zeit, sich mit dem Hausverwalter zu treffen?«
»Klar. Ist mir recht.« Bree stand auf. Sie brauchte jetzt eine kurze Auszeit. Andernfalls würde sie schon im nächsten Moment wie eine Rakete in die Luft gehen. »Ich geh in mein Büro und seh mir mal Eddies Bericht über O’Rourkes Tod an.« Sie holte tief Luft. »Und Ron … bitte keine Anrufe durchstellen.«
Sie trat in den kleinen Raum, in dem ihr Schreibtisch und der ramponierte Ledersessel ihres Onkels standen, und schloss energisch – fast mit einem Knall – die Tür hinter sich.
Gleich darauf kratzte Sascha von außen fordernd an der Tür. Sie öffnete die Tür wieder, um ihn einzulassen, und warf dabei einen Blick ins Wohnzimmer. Petru war in den Aufenthaltsraum gegangen, in den er nach einer Auseinandersetzung mit Ron seinen Schreibtisch geschafft hatte. Ron telefonierte. Lavinia hatte den Staubsauger geholt, um sauberzumachen. Miles und Bellum waren verschwunden – was die Ansicht der anderen, dass die Krise vorüber sei, zu bestätigen schien.
Sascha sprang auf den Sessel und sah Bree liebevoll an. Bree streckte einen Finger in die Höhe. »Es gibt folgende Probleme. Erstens: Monster im Wandschrank – oder eher hinter der Bürotür.« Sie streckte einen zweiten Finger hoch. »Zweitens: Nicht genug Geld auf dem Konto.« Es folgte ein dritter Finger. »Drittens: Das ständige Problem mit den Pendergasts, ganz zu schweigen von dem Wesen, das mich letzte Nacht attackiert hat, das aber alle anderen für harmlos zu halten scheinen.« Sie fuhr sich mit den Händen übers Gesicht. »Was hältst du davon, mit mir davonzulaufen, Sascha? Vielleicht nach Detroit? Oder in den Hundertsechzig-Morgen-Wald? Dort könnten wir unter dem Namen Sanders leben.«
Wo immer man hingeht, sich selbst nimmt man doch stets mit.
»Toller Spruch. Den kannst du dir auf ein T-Shirt drucken lassen«, sagte Bree verärgert. Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und nahm die Akte O’Rourke zur Hand. Was sie brauchte, war ein bisschen konkrete Detektivarbeit. Und an die würde sie sich jetzt machen.
Sie atmete tief durch, zählte von zehn rückwärts und fing an.
Eigentlich gab es nur eine einzige Frage zu klären:
Falls O’Rourke ermordet worden war, wer hatte dann auf den Abzug gedrückt?
Nachdem Bree ihren Notizblock und einen Kugelschreiber herausgeholt hatte, ging sie die Unterlagen der New Yorker Polizei sorgfältig durch. Sie war zwar keine große Krimileserin, hatte als Teenager jedoch einmal eine Sherlock-Holmes-Phase gehabt. Von ihrer damaligen Lektüre erinnerte sie sich noch an einen Grundsatz des großen Detektivs: Wenn man das Unmögliche ausgeschlossen hat, muss man sich auf das Unwahrscheinliche konzentrieren. Und das Einzige, was Sinn ergab – so unwahrscheinlich es auch scheinen mochte –, war, dass Russell O’Rourke auf seinem Bürosessel gesessen und in die Mündung einer Flinte gestarrt hatte, bis seine Frau die Tür seines Arbeitszimmers öffnete und mit einigen Freunden hereinkam. In diesem Augenblick drückte er dann auf den Abzug. Der Schuss riss ihm die Schädeldecke und den größten Teil seines Gehirns weg.
Der Zeitpunkt seines Todes stand zweifelsfrei fest. Trotz der schrecklichen Kopfverletzung hatte sein Herz weiter geschlagen. Der Tod war zwanzig Minuten nach dem Schuss eingetreten, auf dem Weg zur Notaufnahme.
Und Eddie hatte ihr verschwiegen, wie viele andere gemeinsam mit Tully und Barrie Fordham ins Zimmer gekommen waren. Bree hatte sich die Namen bei der Lektüre der Akten notiert:
Tully
Barrie Fordham
Fig O’Rourke
Buck Parsall
Harriet Parsall
Rutger van Houghton
Einer dieser fünf – sechs, wenn man Tully mit dazunahm – musste den Schuss ausgelöst haben, als die Gruppe ins Zimmer trat.
Aber wie? O’Rourke war ja nicht gefesselt gewesen. Hatte er ruhig abgewartet, bis der Schuss losging und ihm das Gehirn wegpustete?
War Russell O’Rourke betäubt gewesen?
Der toxikologische Bericht war so gründlich wie die ganze Autopsie: Mehrere Stunden vor seinem Tod hatte er ein oder zwei Scotch getrunken; außerdem hatte man
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