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Rätselhafte Umarmung

Rätselhafte Umarmung

Titel: Rätselhafte Umarmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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hatte, oder für den ganzen Kleimkram ... oder für die Vogelkäfige.
    »Ach, Mutter«, flüsterte sie, stützte die Ellbogen auf den Tisch und rieb sich müde mit der Hand über das Gesicht. Eine Woge der Hilflosigkeit überrollte sie. »Was sollen wir denn bloß machen?«
    Addie stand an der Tür zu ihrem Büro und starrte Rachel reglos an. Vor ihrer Tochter auf dem Tisch lagen aufgeschlagen die Bücher, die sie inzwischen hasste und fürchtete. Es war ganz offensichtlich, daß Rachel in ihnen gelesen hatte. Addies Magen krampfte sich in panischer Angst zusammen.
    »Was hast du hier zu suchen?« fragte sie. Sie versuchte, autoritär zu klingen, aber ihre Stimme war zu zittrig. Sie kam ins Zimmer geschlurft, wo ihre Gummistiefel über den abgewetzten Teppich scheuerten. »Suchst du Geld für Terence, diese schleimige Schlange?«
    »Ich bin nicht mehr mit Terence zusammen, Mutter«, erklärte Rachel ruhig. Sie fragte sich, wie es ihrer Mutter wohl gefallen hätte, wenn sie erfahren hätte, daß ihre Beziehung zu dem »billigen Straßensänger« schon längst beendet war, daß die Blume der Liebe zusammen mit ihren Träumen dahingewelkt war.
    »Gut«, befand Addie und setzte sich auf einen staubigen Stuhl, der neben dem Schreibtisch stand. »Ich habe den Kerl nie gemocht. Er war nicht gut genug für dich.«
    Rachel kommentierte diese Bemerkung nicht. Terence gehörte der Vergangenheit an. Es hatte keinen Sinn, ihre Kraft in Diskussionen über die Vergangenheit zu verschwenden. Die Zukunft würde ihnen alles abverlangen.
    »Mutter, wir müssen uns unterhalten«, sagte sie ernst. Sie machte sich auf einen Streit gefasst , aber als sie ihrer Mutter in die Augen sah, sah sie dort nicht den Zorn, mit dem sie gerechnet hatte. Sie sah Trauer. Irgendwie war das noch schlimmer.
    »Ich bin nicht ganz auf dem laufenden mit den Büchern«, sagte Addie.
    »Das macht nichts. Wir werden sie wieder auf den aktuellen Stand bringen.«
    »Hier. La ss mich das machen, Rachel. Du warst nie gut im Rechnen.«
    Kurz blitzte ihre alte Willens-und Schaffenskraft wieder auf, als Addie über den Tisch langte und das Rechnungsbuch an sich zog. Sie setzte sich gerade hin und straffte die knochigen Schultern unter dem dünnen Baumwollstoff ihres Hauskleids. Dann nahm sie einen Stift aus einer Tasse auf dem Schreibtisch und schlug das Buch auf.
    Mit zusammengebissenen Zähnen begann sie oben an der Seite. Sie sah die Zahlen, speicherte sie in ihrem Gehirn und versuchte, sie zusammenzuzählen, aber im selben Moment waren sie in alle Richtungen zerstoben. Sie atmete tief durch und versuchte es noch einmal. Sie war immer gut im Rechnen gewesen. Jetzt konnte sie die Zahlen auf der Seite vor ihr kaum lesen. Sie versuchte, erst einmal zwei Zahlen zu addieren, aber gerade, als sie die Lösung zu haben glaubte, entwischte sie ihr wieder.
    Ihr wurde entsetzlich kalt. Ihre Vergesslichkeit konnte sie immer noch entschuldigen. Sie war eine vielbeschäftigte Frau und hatte immer eine Menge im Kopf. Da konnte es schon mal vorkommen, daß sie aus Versehen den Rückwärts-statt den Vorwärtsgang einlegte. Oder daß sie auch sonntags zum Briefkasten ging. Vielbeschäftigte Menschen vergaßen ständig irgendwelche Dinge. Aber das hier, das war anders. Ihre Unfähigkeit, ein paar Zahlen zu addieren, konnte sie nicht wegerklären.
    Addie starrte die Zahlen auf der Seite an. bis sie aus ihren Spalten zu springen und sie in einen schwarzroten Tintenstrudel zu ziehen schienen. Angst schnürte ihr die Kehle zu, und sie schlug das Rechnungsbuch zu. Sie wollte das Buch in die Ecke schleudern und aus dem Zimmer laufen, aber plötzlich konnte ihr Gehirn die komplizierten Aufgaben nicht mehr bewältigen, deshalb presste sie sich statt dessen das Buch an die Brust.
    »Mutter?« fragte Rachel leise. Auch sie bekam immer mehr Angst, und ihre Stimme zitterte. Sie hatte ihre Mutter immer nur als starke, unbeirrbare, unbeugsame Frau gekannt. Jetzt sank Addie vor Rachels Augen langsam in ihrem Stuhl zusammen, bis ihr Gesicht nur noch Angst und Verwirrung ausstrahlte. Rachel streckte die Hand aus und legte die Finger vorsichtig um das vergilbte Rechnungsbuch. »Mutter?«
    »Rachel«, flüsterte Addie gepresst . Sie fühlte sich zu zerbrechlich, um lauter zu sprechen. Sie fühlte sich, als würde sie im nächsten Moment wie eines der vielen Prozellanfigürchen zerspringen, die sie im Lauf der letzten Monate zerbrochen hatte, weil die Verbindung zwischen ihrem Gehirn und ihren Händen

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