Rätselhafte Umarmung
wie sie ihr Leben in einen Trott freudloser, immer gleicher Pflichterfüllung geraten ließ. Wenn sie jetzt nicht lernte, nach Magie und Regenbögen Ausschau zu halten, dann nie mehr. In ein, zwei Jahren würde sie bestimmt nicht damit anfangen. Der Kampf mit Addies Krankheit hätte sie dann bereits ausgelaugt und den Glauben an Träume oder Glück ausgelöscht. Und das konnte er einfach nicht zulassen.
»Wolltest du mich was fragen?« fragte er.
»Wie?«
»Als du ins Zimmer kamst, wolltest du mich da was fragen, oder darf ich hoffen, daß du nur meine angenehme Gesellschaft gesucht hast?«
Rachel rüttelte sich innerlich wach und nahm all ihre Sinne zusammen. Sie löste sich von seinem Schreibtisch und sah plötzlich sehr zielstrebig aus. Sie trug Jeans und eine einfache Hemdbluse. Der hochgestellte Kragen war mit einer großen, türkisen Brosche versehen. Ihr Haar, das in der Nacht, als sie sich geküsst hatten, wie edler Champagner über ihren Rücken geflossen war, war jetzt hochgesteckt und an ihrem Hinterkopf zu einem praktischen Knoten geschlungen. Ein paar lose Strähnen ringelten sich um ihr Gesicht.
Bryan fand, daß sie wie eine Gouvernante aussah - eine sehr hübsche und verletzliche Gouvernante.
»Vielleicht bist du ja gekommen, um über unser Verhältnis zu sprechen«, schlug er vor.
Rachel verschlug es einen Moment lang die Sprache. »Wir - wir haben kein Verhältnis», stellte sie eher verwirrt als überzeugt fest.
»Du gestattest, daß ich da anderer Meinung bin«, widersprach Bryan mit einem charmanten Lächeln. Er fing die roten Schaumgummibälle auf, presste sie sich an die Brust und sah Rachel übertrieben dramatisch an. »Oder hast du nur mit mir gespielt, als du mich fast aus den Schuhen geküsst hast?«
»Ich habe nicht mit dir gespielt!« protestierte Rachel. Er stellte den Vorfall so dar, als hätte sie alles geplant gehabt.
»Na dann ...« Er zuckte unschuldig mit den Schultern und deutete damit an, daß sie ihn absichtlich verführt haben musste , wenn sie nicht mit ihm gespielt hatte.
Rachel biss die Zähne zusammen und zwang sich, den Köder nicht zu schlucken. Sie würde sich nicht mit ihm einlassen. Sie würde nicht einmal mit ihm darüber streiten, ob sie sich mit ihm einließ oder nicht.
»Ich habe mich gefragt, ob du weißt, wo meine Mutter die Rechnungsbücher für ihren Antiquitätenhandel versteckt. Ich habe überall danach gesucht. Ich muss sie durchgehen, damit ich mir einen Überblick über unsere Finanzen verschaffen kann.«
»Hast du Addie gefragt?« Er setzte sich wieder in seinen Sessel.
»Glaubst du allen Ernstes, sie würde es mir verraten?« fragte sie zurück, ohne ihre Verbitterung verhehlen zu können. Sie und Addie schienen von einer Versöhnung genauso weit entfernt zu sein wie vor fünf Jahren. Daß Rachel den Anwalt ihrer Mutter aufgesucht hatte, um herauszufinden, wie es legal und finanziell um sie stand, hatte ihrer Beziehung nicht gerade gutgetan. Das Gespräch über eine Vormundschaft und Finanzvollmachten hatte nicht gerade dazu beigetragen, das Eis zu brechen.
»Hast du ihr schon erzählt, daß du das Haus verkaufen willst?« fragte Bryan.
»Nein.«
»Das wird ihr nicht gefallen.«
»Dann werde ich ihren Zorn über mich ergehen lassen müssen, denn an einem Verkauf führt kein Weg vorbei«, meinte Rachel eigensinnig. Die Frustrationen der letzten Tage kamen plötzlich wieder in ihr hoch. »Auf mich wartet ein guter Job in der Stadt. Wir brauchen das Geld.«
»Es gibt immer einen anderen Weg, Rachel«, sagte Bryan. Obwohl er es nicht deutlich aussprach, war klar, daß er nichts von ihrem Plan hielt.
»Ach wirklich?« Rachel zog eine Braue hoch. Ihr wurde heiß vor Zorn. Sie verschränkte die Arme, um der Versuchung zu widerstehen, ihn auf der Stelle zu erwürgen. »Und wie sieht diese wundervolle Alternative aus? Vielleicht könntest du mir ein bisschen auf die Sprünge helfen. Bis jetzt habe ich bloß entdeckt, daß dieses Haus wahrscheinlich weniger Wert ist, als Mutter der Bank schuldet, weil es langsam über uns zusammenfällt. Das Elektrizitätswerk droht, uns den Strom abzustellen, weil sie seit Monaten keine Rechnung mehr bezahlt hat. Allein die Arztrechnungen, die auf uns zükommen, werden mein Bankkonto sprengen.«
»Du brauchst ein bisschen Geduld«, erklärte Bryan beharrlich. »Es wird sich schon etwas ergeben.«
Rachel hatte das Gefühl, in ihr sei ein Schalter umgelegt worden, der ihrem Zorn mit einem Schlag freien Lauf
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