Räuberbier
einer Kittelschürze. Jedenfalls war es das Erste, was mir dazu einfiel. Sie mochte höchstens knapp über 30 Jahre alt sein, trotz ihres kurz geschnittenen Dauerwellenhaares, der bei Senioren in den 70ern des letzten Jahrhunderts modern war. In alten Schwarz-Weiß-Filmen sah man manchmal noch Frauen mit Kittelschürzen, tatsächlich aber waren die Dinger seit Jahrzehnten ausgestorben. Nun stand solch ein prähistorisches Exemplar live vor mir. Die Dame sah mich wissbegierig an, dabei zuckte ihr Kopf, der auf einem viel zu langen Hals saß, ständig nach vorne, was ihr das schildkrötenmäßige Aussehen verlieh.
»Herr Doktor Schönhausen hatte in den letzten Tagen viel Besuch«, meinte sie und versuchte an mir vorbei in den offenen Hausflur zu spähen. »Gestern war sein Bruder hier, heute Morgen jemand, den ich nicht kenne, und jetzt kommen Sie gleich zu viert. Wie geht es Herrn Schönhausen denn? Er wird doch nicht krank sein? Morgen bringe ich ihm wieder seine geliebte Markklößchensuppe vorbei, wie jeden Montag und Freitag.«
Markklößchensuppe, o weh, da kam mir spontan ein Kindheitstrauma hoch. ›Reiner, willst du noch eine Kelle voll Suppe?‹, fragte mich meine Großmutter regelmäßig, nachdem ich die gehasste markklößchenversetzte Suppe endlich zu Ende gelöffelt hatte. ›Nein, Oma, danke. Ich bin wirklich satt.‹
›Da hast du noch einen Schöpfer voll, damit du groß und stark wirst.‹ Und zack, hatte ich jedes Mal einen ungewollten Nachschlag. Wenn ich nachhakte, warum sie denn überhaupt fragte, antwortete sie nur: ›Ich mein’s doch nur gut mit dir.‹
»Wer sind Sie überhaupt?«, fragte ich die Frau, die aus einer Zeitmaschine gestiegen sein musste.
»Aber ich bin doch die Ilka, die Ilka Eleonores.«
»Aha«, entgegnete ich. »Sind Sie mit Herrn Schönhausen verwandt?«
»Verwandt? Mit dem Herrn Doktor? Ach wo, ich bin doch seine Nachbarin.« Sie zeigte auf das Gebäude nebenan, das auffällige Ähnlichkeit mit Schönhausens Haus hatte.
Um Zeit zu sparen und Jutta, die eben aus dem Haus herauskam, einen unnötig langen Aufenthalt in der Kälte zu ersparen, zückte ich meinen Dienstausweis.
Eleonores erschrak. »Um Himmels willen, was ist passiert? War meine Suppe nicht in Ordnung?«
»Ihrer Suppe geht es gut«, antwortete ich in beruhigendem Ton und schätzte, dass diese bereits die Ludwigshafener Kläranlage passiert hatte. »Erzählen Sie uns von dem Besuch, den Ihr Nachbar gestern und heute hatte.«
Jutta zog einen Notizblock aus ihrer Tasche und schrieb mit.
»Sein Bruder Karl-Heinz kam gestern Abend überraschend zu Besuch.«
»Wieso überraschend?«, unterbrach ich neugierig.
»Weil er höchstens drei- oder viermal im Jahr vorbeikam. Und jedes Mal erfuhr ich es bereits einige Zeit vorher von Doktor Schönhausen. Er konnte seinen Bruder nicht ausstehen. ›Der kommt nur wieder vorbei, um Geld zu schnorren, Frau Eleonores‹, sagte er mir. Als er gestern Abend bei ihm klingelte, war ich sehr erstaunt, da ich von seinem Besuch nichts wusste. Ich wollte ihn beim Verlassen der Wohnung darauf ansprechen, aber er muss sehr lange bei seinem Bruder geblieben sein.«
»Kann er in einem von Ihnen unbemerkten Augenblick gegangen sein?«
Die Schildkröte wurde rot, sie hatte den Vorgarten bestimmt keine Sekunde aus den Augen gelassen. »Das glaube ich nicht. Ich bin extra erst gegen 23 Uhr ins Bett gegangen.«
Mehr zufällig als beabsichtigt ließ ich meinen Blick zu dem Nachbarhaus schweifen. Dann stutzte ich, als ich neben dem Erdgeschossfenster eine Spiegelung sah. Ich ging zwei oder drei Meter näher, bis ich am Zaun, der die beiden Grundstücke trennte, stand. Die nette Nachbarin hatte tatsächlich einen Autorückspiegel so neben dem Fenster an ihrer Außenfassade montiert, dass sie den kompletten Vorgarten von Schönhausen von ihrer Wohnung aus beobachten konnte. So etwas sollte ich mir auch zulegen. Dann könnte ich jedes Mal, bevor ich mein Haus verließ, kontrollieren, ob meine bösartige Nachbarin Frau Ackermann herumlungerte.
»Haben Sie die Adresse des Bruders?«
»Tut mir leid, so nahe stand mir der Herr Doktor nun auch wieder nicht.« Sie überlegte einen Moment, dann fiel ihr offensichtlich ein, dass sie einem Polizeibeamten gegenüberstand. »Doch, mir fällt gerade ein, ich hab sie irgendwo notiert. Mein Neffe hat für mich mal im Internet danach recherchiert.«
Jeder Geheimdienst dieser Welt würde blass gegen die investigativen Bemühungen dieser Frau
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