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Räuberbier

Räuberbier

Titel: Räuberbier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Baufälligkeit für Lkws gesperrt war und sich die Sanierungsarbeiten wegen Finanzierungsproblemen vermutlich Jahrzehnte hinziehen würden, brach auf der südlich gelegenen Rheinquerung tagtäglich das Chaos aus. Gehässige Zeitgenossen vermuteten, dass die Hochstraße Nord überhaupt nicht baufällig war und die Gutachter von der S-Bahn Rhein-Neckar bezahlt worden waren. Das war natürlich ein Märchen, genauso wie das Gerücht, dass die seit der Steinzeit geplante zusätzliche Trassenführung der Rheinbrücke bei Altrip nun mitten durch diesen Ort verlaufen sollte.
    Da mein Beifahrer männlich und somit nicht allzu kälteempfindlich war, konnte die Heizung im unteren Temperaturbereich laufen. Becker lächelte vielwissend, als ich nach alter Gewohnheit direkt neben dem Klinikeingang im absoluten Halteverbot parkte und die polizeiliche Ausnahmegenehmigung auf das Armaturenbrett legte.
    »Hätten Sie so etwas auch für mich?«, erkundigte er sich frech.
    »Wieso? Sie fahren doch meistens mit dem öffentlichen Nahverkehr.«
    »Schon, aber so eine Ausnahmegenehmigung könnte ich gegen einen kleinen Unkostenbeitrag an meine Freunde ausleihen.«
    »Herr Becker: Erstens gibt es keine Unkosten, sondern nur Kosten. Zweitens steht das Kennzeichen dabei, ausleihen funktioniert folglich nicht.«
    »Schade. Das wäre eine gute Geschäftsidee gewesen.«
    »Mit der Sie sich strafbar machen würden«, ergänzte ich.
    »Bräuchte ja niemand zu wissen.« Er zuckte mit den Achseln.
    Der Archäologiestudent führte mich zielsicher zur HNO-Abteilung. Keine Ahnung, wie man sich den Weg merken konnte. Ohne irgendwelche Kontrollen gelangten wir in einen größeren Umkleideraum, in dem etwa 40 Metallspinde aufgereiht an den Wänden standen. Becker öffnete einen, der nicht mit einem Pin-up-Girl, sondern mit einem Zeitungsartikel über den Goldenen Hut von Schifferstadt beklebt war. Er zog sich den Kittel mit dem mir bereits bekannten Namensschild über und reichte mir einen weiteren.
    »Ziehen Sie den drüber«, meinte er. »Damit fallen Sie nicht so leicht auf. Wenn Sie jemand nach dem Namensschild fragt, sagen Sie einfach, es wäre verloren gegangen.«
    Ich wunderte mich, dass es in der Klinik keinerlei Sicherheitsmaßnahmen bezüglich des Personals zu geben schien. Im Prinzip könnte jeder hier hereinspazieren, sich einen Kittel überziehen und als Arzt herumlaufen. Mich schüttelte es, obwohl ich durch Doktor Metzger einiges im Gesundheitswesen gewohnt war.
    Becker studierte einen großen Plan, der an der Wand hing, und glich irgendwelche Uhrzeiten mit seiner Armbanduhr ab. »Prima, ich hab noch eine halbe Stunde Zeit, dann muss ich zur Scheinvisite ins dritte Obergeschoss.«
    »Scheinvisite?«
    Becker lachte. »Keine Angst, jeden zweiten Tag schaut auch ein richtiger Arzt bei den Patienten vorbei. Im dritten Stock liegen unsere Simulanten und solche mit unklarem Krankheitsbild.«
    Es dürfte besser sein, nicht genauer nachzufragen und zu hoffen, niemals ernsthaft krank zu werden.
    »Wo müssen wir hin?« Ich wollte endlich zur Sache kommen und in dem weißen Kittel fühlte ich mich überhaupt nicht wohl.
    Mein Führer und Aushilfsarzt geleitete mich zum Treppenhaus. Niemand sprach uns, von dem ständigen »Guten Morgen« oder der hingenuschelten Variante »Morsche« abgesehen, an. Zu gern hätte ich gewusst, ob ich in meiner Verkleidung ohne Komplikationen in den OP-Bereich kommen würde. Ich schätzte, ja.
    Wir gingen in den Keller, der überhaupt nicht wie ein Keller aussah, sondern aus hellen und breiten Gängen, die kein Ende zu nehmen schienen, bestand.
    »Hier unten findet die ganze Versorgung des Krankenhauses statt«, erklärte mir Becker. »Wenn man das ganze Zeug, das jeden Tag benötigt wird, oben durch die Flure bringen würde, wäre dort alles verstopft. Allein die Nahrungsmittel, die täglich angekarrt werden, sind immens. Wenn wir nachher noch Zeit haben, können wir schauen, ob wir eine Wurst abstauben können. Bei den Mengen merkt das keiner.«
    Becker blieb vor einer Tür stehen. »Sieht doch sehr unscheinbar aus, oder?«
    Ich las das Schild neben der Tür: ›Technisches Laborarchiv HNO‹.
    Der Student zog einen Schlüsselbund aus seiner Hose. »Fragen Sie besser nicht, wo ich den herhabe.«
    Wir betraten einen ungefähr 20 Quadratmeter großen Raum. Becker schloss hinter uns die Tür und schaltete die Neonlampenbeleuchtung ein. Na ja, in meinen Augen sah das weniger wie ein Archiv als vielmehr eine Gerümpelkammer

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