Räuberbier
Außerhaustermine eigentlich immer so lang?«, meinte er vorwurfsvoll. »Manchmal habe ich den Eindruck, Sie gehen während der Dienststunden regelmäßig ausgedehnt essen.«
Wie auf Kommando knurrte mein Magen wie eine Herde Rinder.
Mein Vorgesetzter stockte. »Oh, da habe ich zumindest dieses Mal falsch gelegen. Kommen Sie, bedienen Sie sich.« Er zeigte in Richtung Besprechungstisch, auf dem eine Schüssel mit undefinierbaren braunen Klumpen lag. Es könnte sich um für den menschlichen Verzehr geeignetes Material handeln, genauso gut könnten die Brocken aber auch aus dem Abwassersiphon eines Waschbeckens stammen. Gerhard und Jutta saßen stumm und regungslos am Tisch.
Ich setzte mich zu meinen Kollegen und ignorierte den Inhalt der Schüssel. Handelte es sich vielleicht um den Mageninhalt des Ermordeten?
Ich kam zu dem Schluss, dass dem nicht so war, weil KPD sich eines der Stücke schnappte und genussvoll in den Mund schob.
»Exzellent«, bemerkte er, nachdem er den Brocken durchgekaut hatte, »zur Perfektion fehlt nur noch ein geeigneter Wein.«
»Das wäre doch lösbar«, sagte Gerhard. »In unseren Getränkeautomaten im Keller könnte man doch neben einer Sorte Bier auch Wein mit aufnehmen.«
KPD schaute ihn mitleidig an. »Aber Herr Steinbeißer, ich bitte Sie! Ein bisschen mehr Allgemeinbildung hätte ich Ihnen schon zugetraut. Sie können doch einen guten Wein nicht neben Bier und Limonade lagern. Da müssen doch die Temperaturen und die Luftfeuchtigkeit exakt eingehalten werden. Sonst können Sie ja gleich Essig trinken. Aber Sie bringen mich auf eine Idee: Vielleicht können wir die Jugendsachbeauftragten und die Verkehrsschulbeamten in einen gemeinsamen Raum stecken, dann hätten wir ein Büro frei. Wenn ich die Anfrage ans Präsidium geschickt formuliere, könnten wir im leeren Raum einen kleinen Weinkeller installieren. Natürlich nur für repräsentative Zwecke.«
Damit hatte sich Gerhard ein klassisches Eigentor geschossen. Die Kollegen würden ihn steinigen.
KPD hatte nun doch bemerkt, dass ich mich von seiner Schüssel fernhielt. Mein nach wie vor knurrender Magen hatte ihn erinnert.
»Greifen Sie ruhig zu, Herr Palzki. Das ist edles Weihnachtsgebäck. Eine Bekannte meiner Frau kommt aus Indien. Die backen mit den raffiniertesten Zutaten.« Er zog einen Zettel aus der Tasche. »Sie hat uns die Zutaten sogar aufgeschrieben. Es ist aber wahrscheinlich alles indisch oder so, ich kann es jedenfalls nicht entziffern.«
Er legte den Zettel auf den Tisch, den sich die neugierige Jutta sofort schnappte.
Ich hatte keine Wahl, ich stand unter öffentlicher Beobachtung. Todesmutig und auch ein wenig hungrig griff ich zu. Na ja, seltsam schmeckte es schon. Irgendwie nach unbekannt. Ich setzte eine erbauliche Miene auf und mein Vorgesetzter war zufrieden. Er ging zu einem seiner Schreibtische, um etwas zu holen.
Ich bemerkte, wie sich Juttas Stirn kräuselte. Sie starrte immer noch auf den Zutatenzettel. Schließlich sah sie fragend zu mir auf.
»Kuhdung?«
Mein Magen gab schlagartig nach. Die Wahlmöglichkeiten waren begrenzt. Der Brocken und noch etwas mehr flogen in eine Vase mit künstlichen Orchideen. Ich schwor mir selbst, nie mehr Weihnachtsgebäck zu essen. Dabei wusste ich nicht einmal, ob es wirklich Orchideen waren.
KPD hatte von alldem nichts bemerkt. Er wühlte in einer seiner Schubladen herum. Meine Kollegen schauten mich mitleidig an.
KPD war immer noch nicht fündig geworden. Mitten in seiner Sucherei richtete er sich auf. »Übrigens, Herr Palzki. Mein Freund Benno hat angerufen. Aus Mannheim, Sie wissen schon. Er hat mir gesagt, dass der Leiter der Abteilung Betriebsbesichtigung das Geheimnis der Eichbaum-Brauerei gelöst hat. Heute Mittag werden sie die Gauner schnappen. Sie, Herr Palzki, hat er übrigens mit keiner Silbe erwähnt. Das dürfte wohl auch besser sein. Besser nicht auffallen, als negativ auffallen.«
Das waren Neuigkeiten.
»Der Mord ist aufgeklärt?«
KPD schaute erneut auf. »Welcher Mord?«
»Der Tote, der vom Gärtank gestürzt ist.«
»Davon hat Benno nichts gesagt. Sind Sie davon überzeugt, dass der Kerl umgebracht wurde? Benno hat nur von einem Labor gesprochen.«
»Ich muss nach Mannheim«, beschloss ich spontan und stand auf.
KPD wunderte sich. »Und was ist mit unserer Leiche? Es wäre besser, Sie kümmern sich um die Toten in unserem Zuständigkeitsgebiet, Herr Palzki. Wo kommen wir hin, wenn sich jeder um die Leichen anderer kümmert? Was
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