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Räuberleben

Räuberleben

Titel: Räuberleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Hartmann
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offizielle Delegation kehrte im Eilschritt nach Sulz zurück, gefolgt von einem Soldatentrupp und den Wagen mit den Gefangenen. Grau blieb in der Nähe von Schäffer, der weit ausgreifende Schritte machte und sich mit einem großen Schnupftuch den Schweiß von Stirn und Nacken wischte. Kaum ein Wort hatte er an diesem Tag mit Grau gesprochen. So war es seit langem: Wenn der Oberamtmann gegen außen den Würdenträger darzustellen hatte, dann behandelte er den Schreiber, den er sonst bei so vielen Geschäften ins Vertrauen zog, wie Luft.
    Als die Brücke in Sicht kam, zuckten die ersten Blitze über den westlichen Himmel und zogen gleißende Spuren in die Wolkenschwärze. Der Donner rollte über die auseinandergezogene Kolonne hinweg, als murre in der Ferne ein Riesentier. Den ersten Tropfen folgten gleich nussgroße Hagelkörner. Später würde man behaupten, in einigen seien verwehte Zigeunerinnenhaare eingefroren gewesen. Davon sah Grau nichts. Er mühte sich, auf den Pflastersteinen, die schon weiß gesprenkelt waren, nicht auszurutschen, und war froh, die Oberamtei noch halbwegs trocken zu erreichen. Schäffer zog sich eilig um, dann rief er gleich den Schreiber zu sich, denn er wollte ohne Verzug den Bericht über die Hinrichtung diktieren; der Herzog hatte verlangt, dass er ihm per Eilbote zugestellt werde.
    Grau hatte keine Zeit für einen Kleiderwechsel, außerdem besaß er bloß zwei vorzeigbare Röcke, und der andere war in seinem Zimmer bei der Witwe Schlosser aufgehängt. Während nun doch die Nässe an den Schultern unangenehm durchdrang, stand er am Stehpult und schrieb mit präzis bemessenen Unter- und Oberlängen auf, was Schäffer diktierte: So hat denn diese wichtige und beschwerliche Inquisition, der ich nach wirklichem Anscheinen meine Gesundheit gänzlich aufgeopfert, auch ihr Ende erreicht, auf welches nach der Äußerung vieler Fremden fast ganz Europa sehr begierig gewesen.
    Wie jedes Mal verbesserte Grau stillschweigend den Wortlaut, wenn er allzu unbeholfen oder gewunden wirkte. Zwischendurch erschien der Amtsdiener, ohne dass er gerufen worden wäre, und stellte ein Glas Wasser vor Schäffer hin. Grau ärgerte sich auch jetzt über Roths schleichenden Gang und das Schlenkern seines freien Arms. Er zwang sich dazu, sich aufs Diktat zu konzentrieren; Schäffer wollte noch weitere Briefe absenden. Als sie fertig waren, schien draußen wieder die Sonne, drinnen im großen ungelüfteten Amtszimmer war es stickig geblieben. Grau streute Sand über die letzten Seiten, ließ ihn, als er vollgesogen war, in den Kübel rieseln, er faltete die Post zusammen, versiegelte sie. Das war nun hoffentlich der Schlusspunkt unter der langen und verworrenen Geschichte, an der er, der Schreiber Grau, von Anfang an beteiligt gewesen war.
     
    Spätabends saß er allein in seinem Zimmer, am offenen Fenster, vor das er den Tisch geschoben hatte. Windstille, Hunde bellten in der Nachbarschaft. Das Zimmer bei der Witwe Schlosser hatte er sich genommen, nachdem seine Frau und zwei Kinder am Fleckfieber gestorben waren; in der leeren Wohnung hatte er es nicht mehr ausgehalten. Das dritte Kind, ein Mädchen, hatte überlebt, es war, siebenjährig nun, bei einer Verwandten in Horb untergebracht. Eine Haushälterin, die Sophie die Mutter ersetzt hätte, konnte ein württembergischer Schreiber von seinem schmalen Gehalt nicht bezahlen, und sich wieder verheiraten, wie ihm viele rieten, mochte er nicht. So sah er Sophie nur alle paar Monate, und es erstaunte ihn nicht, dass das lebhafte Mädchen sich weigerte, auf seinem Schoß Platz zu nehmen, und ihn überhaupt als Fremden behandelte. Die Einsamkeit indessen machte Grau weniger aus, als andere meinten. Er fand Trost bei den Insekten; ein Misanthrop, wie ihm Schäffer gelegentlich vorhielt, war er deswegen noch lange nicht.
    Unter der Lupe, bei schwindendem Tageslicht, betrachtete er die Beute des letzten Sonntagsausflugs. Er hatte sie über Dampf sorgsam getötet, dann auf Löschpapier getrocknet. Es waren Käfer, die er schon bestimmt hatte, und ein paar Bienen, darunter eine Art, die er nicht kannte. Er spreizte mit einer Pinzette die Flügel auseinander, sah genau hin, schrieb, tief übers Blatt gebeugt: Größe und Gestalt einer Honigbiene, runder, schwarzer Kopf, um die Wurzel der Fühler weiße, seidenähnliche, krause Haare. Breiter Hinterleib, glänzend schwarz, aus sechs Ringen bestehend. Bräunliche Flügel, die ins Blaustahlfarbene schillern. Diese Beschreibung

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