Räuberleben
herumgefuchtelt: »Jetzt werden wir sie fassen! Jetzt oder nie! Es soll uns keiner entgehen!« Hannikel und seine Leute hatte er schon seit längerem im Visier. Man legte ihnen Raubüberfälle, Diebstähle und Misshandlungen zur Last, begangen über fünfzehn Jahre hinweg an einem Dutzend Orten im Schwarzwald und im Eisass. Beute gemacht hatten sie mit Vorliebe bei jüdischen Händlern und in evangelischen Pfarrhäusern. Sie stahlen bares Geld, Gold, Silberbesteck, Schmuck, Kleider, Tuch, Fleisch, Brot, Käse, Schafe, Gänse, kurz: alles, was ihnen in die Hände geriet. Wenn die meist im Schlaf Überfallenen nicht verraten wollten, wo sie ihre Wertsachen versteckt hatten, wurden sie geschlagen, an den Haaren gerissen, herumgeschleift, mit heißem Wachs gequält; da gab jedermann seine Geheimnisse preis. Es kam zudem vor, dass die Räuber bei jüdischen Geldausleihern, auf Betreiben der Dorfbewohner hin, Schuldscheine zerrissen und verbrannten.
Mehrmals schon hatte Schäffer in seinem Amtsdistrikt Polizeistreifen auf die Hannikelbande angesetzt. Doch die Übeltäter, stets auch von Frauen und Kindern begleitet, waren immer wieder rechtzeitig entwichen. Vermutlich wurden sie von Helfershelfern gewarnt, und außerdem wussten sie jeweils genau, wo sie die Grenze zu einer andern Herrschaft überqueren mussten, um in abgelegenen Wirtshäusern oder auf verborgenen Rastplätzen eine Zeitlang unbehelligt zu bleiben. Sie brauchten erst dann weiterzufliehen, wenn die unterschiedlichen, eifersüchtig über ihre Rechte wachenden Behörden einander Amtshilfe gewährten.
Dieses Mal, nach dem Mord an Toni, sollte es anders sein. Schäffer wollte eine umfassende Vollmacht von Herzog Karl Eugen, die ihm gestattete, die Bande in ganz Württemberg zu jagen. Er diktierte Briefe, die per Eilpost nicht nur nach Stuttgart, sondern auch nach Sigmaringen, nach Rottweil, nach Konstanz gingen. Überall erbat er sich sofortige Hilfe und gegebenenfalls den erleichterten Grenzübertritt für seine Häscher. Der Schreiber Grau schrieb sich die Finger wund; auch sein umständlicher Gehilfe Eyt, der die Kopien anfertigte, arbeitete bis zum Umfallen.
Am 1. Mai, nach drei Wochen hektischer Betriebsamkeit, kam der herzogliche Bescheid, dass der Oberamtmann die Fahndung leiten solle. Ein Militärkommando, wie er sich’s wünschte, wurde ihm allerdings nicht bewilligt, bloß zwei bewaffnete Postillione zu seinem Schutz. Inzwischen aber hatte Schäffer, der nun alle andern Geschäfte vernachlässigte, zwei Zigeuner gedungen, die ihn zu Hannikels Verstecken führen sollten. Es waren Mattes und Hansjörg aus der Sippschaft der Reinhardts, sie waren mit Hannikel verwandt und durch die Aussicht gekauft, für begangene Verbrechen mit einer milden Strafe davonzukommen, wenn sie sich als nützlich genug erwiesen.
Als Erste wurden unter ihrer Führung die Frankenhannesen Käther und Dennele aufgespürt und verhaftet, Hannikels Beischläferin und seine Tochter aus einer früheren Verbindung. Schäffer rang ihnen den Hinweis ab, dass Hannikel sich in der Gegend von Rechberg und Schwäbisch Gmünd verstecke. Hinterher bereute Käther dieses Geständnis. Als der Schreiber Grau sie vom Verhör wegführte, sagte sie unter Tränen, sie sei voller Angst gewesen und habe gedacht, dass sie zumindest Dennele schütze, wenn sie die scharfen Fragen des Oberamtmanns richtig beantworte. Sie klagte über Durst. Grau gab ihr zu trinken. Er wusste nicht, was er von ihr halten sollte. Die Koketterie in ihrem Blick wechselte sich ab mit Furcht und Argwohn, und in ihre Haare, die ungebändigt über die Schultern fielen, hätte er greifen wollen, bloß um herauszufinden, wie rauh oder wie fein sie waren.
Schäffer stellte eine Streifmannschaft zusammen, die er aus dem Etat des Oberamts und teils sogar aus eigener Tasche bezahlte. Grau hätte es vorgezogen, an seinem Schreibpult zu bleiben und Schäffers Liste anhand von Verhörnotizen weiter zu vervollständigen. Aber er musste mit; er war für den Oberamtmann, wie es schien, unentbehrlich. Der Amtsdiener Roth hingegen, der bei bevorstehenden körperlichen Anstrengungen stets über sein schwaches Herz klagte, durfte zu Hause bleiben. Es war dem Schreiber unbegreiflich, weshalb Schäffer so nachsichtig mit ihm umging. Ein Blinder musste doch sehen, dass Roth unbequeme Anordnungen des Vorgesetzten unterlief oder sich ihnen entzog! Hatte Schäffers Nachsicht am Ende damit zu tun, dass Roth genauer als andere darüber Bescheid
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