Räuberleben
auch, fügte er hinzu, im Sinne Graus; der solle aber diese… nun ja, diese Gunsterweisung diskret behandeln. Er schien darauf zu warten, dass der Schreiber seine Billigung oder Dankbarkeit ausdrücke. Doch Grau nickte nur, dann fragte er: »Hat sie sich gefreut?«
»Die Frankenhannesen Käther? Sie hat keine Regung gezeigt, aber sie hat sich doch von ihrer Schwäche erholt, sie ist aus eigener Kraft gegangen, und dann hat sie sich einfach neben Hannikel gelegt.«
»Und er? Trägt er noch die Ketten?«
»Das muss so sein. Morgen früh erst werden sie ihm abgenommen. Beichten und die Sakramente empfangen wird er ohne sie.« Schäffer sprach wieder mit gewohntem Fluss; dass er vermutlich seine Kompetenzen überschritten hatte, schien sein Selbstbewusstsein zu stärken. »An die Arbeit jetzt!«, befahl er, und der Schreiber brauchte unüblich lange, bis er die Utensilien fürs Diktat bereitgestellt hatte.
Schäffer indessen nahm vom größeren Pult eine gewichtige Bibel, in die er an verschiedenen Stellen Zettel gesteckt hatte, er schlug sie beim ersten auf, dachte eine Weile nach. »Ich beginne so«, sagte er und erhob die Stimme, als wäre Grau bereits sein Publikum. »Wenn Monarchen und Fürsten dieser Welt zweifeln: ob sie dem Menschen das ihm gegebene Leben nehmen können oder nicht, so erhebt dieser Zweifel ihre angeborene unbegrenzte Liebe zu dem Menschengeschlecht… Aber wenn der allmächtige Richter aus den Gewittern mit den Menschen spricht: >Wer jemand mit einem Eisen oder Holz schlägt, dass er stirbt: der ist ein Totschläger und soll des Todes sterben…<« Schäffer stockte, beugte sich tiefer über die Bibel, so dass seine Nase beinahe die Seiten berührte, »… geschrieben im vierten Buch Mose, Kapitel 35, Vers 17…« Er blätterte vorwärts und zurück, schien den Faden zu verlieren, wiederholte: »…soll des Todes sterben«, und diktierte mit zunehmendem Pathos: »So ist es gewiss eine von Gott geforderte und den Staat sichernde höchste Gerechtigkeit der auf Erden von ihm gesetzten Obrigkeit, dass diese an menschenwürgenden Ungeheuern die Urteile Gottes vollziehe.« Er brach ab, suchte Graus Blick: »Ist das nicht überzeugend?«
Grau sagte mit gesenktem Blick, er maße sich in diesem Punkt kein Urteil an.
Schäffer ging darüber hinweg und legte den Zeigefinger an die Nase: »Karl, unserm durchlauchtigsten großen Landesvater, war es von der göttlichen Vorsehung vorbehalten, die hier vorgeführten Mörder und Räuber Hannikel, Wenzel, Duli und Nottele, und zwar die zwei Ersteren aus der Mitte des entferntesten Auslands und von den fernen Grenzen des Schwäbischen Kreises, durch ein großes Kommando abholen zu lassen, um deren Staaten von ihrem abscheulichen Blutdurst und von ihrer äußerst schädlich gewesenen Raubsucht zu befreien.« Schäffer holte Atem, sah zu, wie Graus Feder eilig übers Papier glitt. »Absatz«, sagte er in beinahe militärischem Ton. »Und dann: Noch schreiet das Blut des von diesen Wüterichen bei Reutlingen erschlagenen herzoglichen Grenadiers á cheval Christoph Pfister um Rache zum Allmächtigen im Himmel. Tollkühn wie die Tyrannen tobten diese abscheulichen Unmenschen in den Eingeweiden ihres erschlagenen Bruders und meinten, der Rache des allgegenwärtigen Gottes entfliehen zu können.«
Schäffer hatte sich in Rage geredet, suchte aber zugleich nach Bestätigung beim Schreiber. Grau gönnte sie ihm nicht; er war Ausführungsorgan, nichts anderes, verwandelte gewissermaßen automatisch das Gehörte in Schrift. Und doch konnte er sich nicht völlig abschotten, so dass einzelne Wörter ihn geradezu ansprangen.
»Absatz«, befahl Schäffer und ging zur direkten Anrede über. »Schwarz wie die Hölle, ihr hier vorgeführten Mörder und Räuber, werden eure unmenschlichen Handlungen ewig auf dem Lande bleiben, das ihr geschändet habt; eine unbeschreibliche Empfindung durchdringt mein Herz, bei meinem wirklichen Amtsberuf eure Schand- und Greueltaten dem Publikum, soviel die Kürze der Zeit gestattet, wenigstens summarisch bekanntzumachen.« Auf Schäffers Stirn glänzte der Schweiß, er fächelte sich mit der Hand Luft zu. »Ich komme zuerst auf die Lasterbahn des berüchtigten Jakob Reinhardt oder Hannikel, als Anführer und Hauptmann der Bande.« Und nun schilderte Schäffer drastisch die Jugend des Haupttäters, seinen Müßiggang und seine Zeit in der verderblichsten Zigeuner- und Räuberrotte. Von einer vorbereiteten Liste las er ab, welche
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