Räuberleben
Sohn den Vater hängen sehen solle, nicht allzu grausam sei und ob man nicht überhaupt den Kindern dieses Schauspiel ersparen könne.
Es war schwül im Raum, und Graus Frage schien die Schwüle schlagartig ins Unerträgliche zu steigern. Schäffer starrte den Schreiber an, als habe er ihm eine Handvoll Unrat ins Gesicht geschleudert. »Was glaubt Er denn?«, entgegnete er mit einer Stimme, die er nur mit Mühe im Zaum hielt. »Glaubt Er im Ernst, ich könne mich einem Ukas aus Stuttgart widersetzen? Wie naiv ist Er eigentlich, Schreiber Grau?«
Grau geriet ins Stottern; er hatte sich seinen Auftritt, den er den ganzen Morgen innerlich geprobt hatte, überzeugender vorgestellt. »Es ist doch eine nutzlose Grausamkeit, Herr Oberamtmann… Sie wird im Jungen, der seinen Vater liebt, nur Rachegefühle hervorrufen… ihn erst recht auf die schlechte Bahn werfen… Das wird Seine Durchlaucht, wenn Sie es ihr ordentlich darlegen, gewiss verstehen…«
»Halt Er endlich den Mund!« Schäffer sprang auf die Füße und fegte mit einer weit ausholenden Gebärde die Papiere, die ihm am nächsten lagen, vom Tisch. Ein Zettel hielt sich einen Moment schaukelnd in der Luft, und Grau schaute gebannt zu, wie er niedersank. »Gar nichts werde ich tun!«, schrie Schäffer. »Dieser Junge hat sich an einem Mord beteiligt! Er soll sehen, zu was für einem schrecklichen Ende eine solche Laufbahn führen kann.« Schäffers Stimmgewalt, die den Raum erfüllt hatte, nahm nun doch ab, es war, als traue er den eigenen Sätzen nicht. »Gerade wenn er künftig an die Hinrichtung denkt, wird er sich die größte Mühe geben, ein besserer Mensch zu werden als sein Vater. Das wollen doch wir beide.«
Grau fuhr mit Mühe fort: »Aber vertreten Sie denn nicht die Meinung, dass der Junge schon zu verdorben sei und sich gar nicht mehr bessern werde? Demzufolge hätte diese Zusatzstrafe doch gar keinen Sinn.«
Schäffer stützte sich mit einer Hand auf dem Schreibtisch ab. »Gut. Dann nützt sie beim Jungen allenfalls nichts, aber das Publikum wird mit der Härte, die wir zeigen, einverstanden sein.« Noch leiser fuhr er fort: »Den zwei kleinen Kindern kann man die Augen zuhalten, dagegen bin ich nicht, und der Säugling weiß noch nicht, was da geschieht.«
Grau hob die Papiere vom Boden auf, glättete die zerknitterten und legte sie zurück, wohin sie gehörten, während Schäffer tief in Gedanken auf und ab ging. Jedes Mal, wenn er das Fenster passierte, fiel sein Schatten auf den knienden Grau. Dann verließ er plötzlich den Raum, hundert Pflichten riefen, und der Schreiber war allein. Er öffnete einen Fensterflügel, frische Luft strich ihm über die Stirn, sie roch nach Pferdedung. Das Geschwätz der Frauen am Brunnen drang zu ihm. Grau schaute hinüber zum bewaldeten Hügel jenseits des Flusses, dahinter lag der Galgenbuckel, er war noch nie dort oben gewesen.
Vier Wachsoldaten brachten Käther, Dennele und Dieterle, in Begleitung Schäffers, zur festgelegten Stunde zu Hannikel, ins Dachgeschoss des Rathauses. Trotz der Ketten, die man ihm noch nicht abnahm, waren die Umarmungen, die Küsse, die Kosewörter so innig, die Klagen so traurig, dass sie die Zeugen, wie sie hinterher berichteten, gegen ihren Willen zu Tränen rührten. Hannikel habe die Seinen, vor allem Dieterle, ermahnt, tapfer zu sein, dem Unausweichlichen mit Gefasstheit zu begegnen und für seine Seele zu beten. Man habe den Buben mit Gewalt von ihm trennen müssen, der Kleine habe gebettelt, man möge ihn beim Vater lassen, er habe gewinselt wie ein Hund, dann um sich geschlagen, sich an Hannikels Ärmel festgehalten und ihn zerrissen. Morgen würde Hannikel ohnehin ein Büßerhemd bekommen. Käther hingegen sei stumm und starr geworden, man habe sie wegschleifen müssen und die einfältige Dennele, die sich heulend an sie gehängt habe, dazu.
Schäffer hatte Grau angekündigt, es stehe noch ein längeres Diktat bevor, er wolle die Rede, die er morgen vor der Hinrichtung in der Gerichtsstube halten werde, ordentlich zu Papier bringen. So hatte der Schreiber nur gerade Zeit, im benachbarten Gasthof ein Schinkenbrot zu verzehren; der Witwe Schlosser ließ er ausrichten, sie solle das Essen nicht warm halten, es werde spät.
Als er sich wieder im Amtszimmer einfand, sagte Schäffer fast beiläufig zu ihm, er habe veranlasst, dass Käther noch einmal zu Hannikel gebracht werde, sie könne die Nacht über bei ihm bleiben, man werde die beiden nicht stören. Das sei ja
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