Räuberleben
Perücke verrutschte und sein kahler Schädel zum Vorschein kam. Im Rathaus, wo ihn der Stadtschreiber Zennek mit Zurückhaltung empfing, schlug er den angebotenen Kaffee aus und wollte gleich zum Beichtkind, wie er sich ausdrückte.
Hannikel, immer noch in Ketten, hatte ein Zimmer und ein Bett für sich allein, während nebenan die drei anderen Verurteilten zusammengelegt waren. Reininger bestand darauf, mit Hannikel allein zu sein. Was dann geschah, ließ sich Schäffer im Beisein Graus von Zennek rapportieren, dem das meiste wiederum die Wache und eine Magd, die zum Putzen gekommen war, erzählt hatten. Zunächst habe man hinter der verschlossenen Tür ausschließlich die gedämpfte Stimme des Pfarrers gehört; es habe geklungen wie eine nicht enden wollende Predigt mit lauten und leiseren Passagen, einem Amen bisweilen. Mit der Zeit habe sich die gutturale Stimme Hannikels hineingemischt, zornig erst, dann bittend und jammernd. Auch ihn hätten die Lauscher kaum verstanden, die dicke Eichentür verschlucke eben das meiste. Zwischendurch habe Reininger nach Wasser gerufen. Gegen Mittag sei er zum ersten Mal herausgekommen, er habe geschwankt vor Erschöpfung, aber beteuert - da war nun auch Zennek dabei -, Hannikel erweiche sich allmählich, er, Reininger, sei sicher, es brauche nicht mehr viel, bis der verlorene Sohn bereit sei zur Umkehr und seine Strafe als gerecht anerkenne. Wir hätten alle, habe sich Reininger mit glänzenden Augen an Zennek gewandt, nur einen Weg zu Gott, und der heiße: Tut Buße! Am Nachmittag habe der Priester Hannikel weiter bearbeitet, man habe Reininger selbst schluchzen gehört und danach Hannikel (oder wenigstens habe die Magd die Töne aus der Kammer so gedeutet). Beide Stimmen seien zusammen vernehmbar gewesen, im Gebet wohl, und abends, nach zehnstündigem Ringen, habe Reininger beinahe euphorisch zu Zennek gesagt, die Reue sei im Sünder aufgeblüht wie eine Rose. Hannikel habe seine Ketten geküsst, sie mit Tränen benetzt und gesegnet, denn sie trügen doch zu seiner Besserung bei.
Grau zweifelte, ob sich alles so abgespielt hatte, er traute Reininger etliche Übertreibungen und Schönfärbereien zu. Aber Schäffer zog es vor, an Hannikels aufrichtige Reue zu glauben, und wohl deshalb ordnete er an, dass am nächsten Tag die Angehörigen zu Hannikel gelassen würden.
Am Morgen des 16. Juli traf aus Stuttgart die Antwort auf Hannikels Heiratsgesuch ein. Der Herzog hatte entschieden, dass die Trauung nur von einem lutherischen Prediger vollzogen werden dürfe; sie im Rathaus, an offizieller Stelle, einem katholischen Priester zu überlassen, verstoße gegen die Landesverfassung. Aufgrund der gleichen Sachlage müsse überdies ein evangelischer Pfarrer Hannikel und die Seinen zur Richtstätte begleiten. Dagegen wehrte sich Hannikel mit großer Heftigkeit und wütenden Ausfällen gegen die evangelische Religion. Als er einsah, dass die Beschlüsse feststanden und keinesfalls umgestoßen werden konnten, verlegte er sich unter neuerlichen Tränen darauf, eine letzte Nacht mit seiner Käther zu erbitten. In der Nacht vor seinem Tod wolle er die Frau, die er doch von ganzem Herzen liebe, noch einmal bei sich haben, das könne man ihnen nicht verwehren, vor Gott hätten sie lange genug in ehelicher und treuer Gemeinschaft gelebt. Schäffer, der ihn für eine Viertelstunde aufgesucht hatte, wich einer klaren Antwort aus, das Ansinnen schien ihn aus dem Konzept zu bringen. Er werde am Abend entscheiden, sagte er, man müsse zunächst sehen, ob die Zusammenführung mit den Angehörigen, die er bewilligt habe, in Anstand und Würde ablaufe. Das werde sie, rief Hannikel und fügte weitere entschiedene Worte in der Zigeunersprache hinzu, die indessen alles Mögliche bedeuten konnten.
Am meisten zu schaffen machte Grau, dass Dieterle und sogar die jüngsten Kinder gezwungen werden sollten, der Hinrichtung zuzuschauen. Das hatte er erst aus einer Bemerkung Schäffers gegenüber Zennek abgeleitet; ihm selbst, dem Schreiber, hatte man nicht gestattet, das Urteil, das diesen Passus enthielt, in ganzer Länge zu lesen. Er hatte nachgefragt, Schäffer hatte schroff bestätigt, dass es so und nicht anders geplant sei. Seither herrschte in Grau ein Aufruhr, der ihm die Arbeit schwermachte.
Am frühen Nachmittag, kurz bevor die Zusammenführung stattfinden sollte, gab es eine ruhige Minute im Amtszimmer, er und Schäffer waren zu zweit. Mit belegter Stimme fragte Grau, ob die Maßnahme, dass ein
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