RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
Patenonkel Juan ist überzeugt, dass ich meine Ungeschicklichkeit von meiner Mutter geerbt habe, die als Kind ständig fiel und alles mögliche anrempelte. Genauso erging es mir, als ich nach dem Training in Manacor über das Netz sprang. Ich stolperte, stürzte und landete mit meinem gesamten Körpergewicht auf dem Handgelenk. Es war verstaucht und blutete, was noch schlimmer war. Toni hatte kein Mitleid mit mir: »Rafael, du hast einfach nichts im Kopf!« Mein Patenonkel war damals dabei, und obwohl er mit offener Kritik an Toni sonst immer sehr vorsichtig war, konnte er sich nicht zurückhalten: »Toni, diesmal bist du zu weit gegangen.«
Mein Pate fuhr mich in die Ambulanz der Stadt, um mein Handgelenk verbinden zu lassen. Er war wütend und sagte, mein Onkel sei ein Idiot. Er habe zwar Verständnis, dass Toni mich für die bevorstehenden Wettkämpfe und alles fit machen wolle, aber nun habe er eine Grenze überschritten. Ich hatte Schmerzen und sagte nichts, aber eines war mir klarer als meinem Patenonkel: nämlich wie wichtig Toni nun für mich war, nachdem ich meinen ganzen Ehrgeiz auf das Tennis konzentriert hatte, wie unklug es wäre, innerhalb der Familie Reibereien über Toni zu schüren oder mir negative Gedanken über ihn zu erlauben, so verlockend es in diesem Moment auch sein mochte. Ich wollte im Tennis Erfolg haben, und alles, was sich dem in den Weg stellte – sei es ein fauler Sommer mit meinen Freunden oder negative Gefühle gegenüber Toni –, musste ich beiseite schieben.
Denn Toni hatte Recht, auch wenn es mich oft wütend machte, langfristig gesehen hatte er Recht. Harte Lektionen wie diejenige, die er mir an jenem Tag erteilte, befähigten mich, besser mit der Bürde aller Spitzensportler zu leben, unter Schmerzen zu spielen. Die Lektion setzte ich in die Praxis um, noch bevor ich Profispieler wurde: Als ich kurz nach diesem Sturz am Netz die spanische U14-Meisterschaft gewann, errang ich einen der denkwürdigsten Siege meines Lebens, denn ich musste damals nicht nur meinen Gegner im Endspiel schlagen, sondern auf dem gesamten Weg dorthin auch über die Schmerzgrenze gehen. Das Turnier fand in Madrid statt, und mein Gegner war einer meiner besten Freunde – und ist es bis heute –, Toméu Salva, mit dem ich gemeinsam trainierte, seit ich zwölf Jahre alt war.
In der ersten Turnierrunde fiel ich hin und brach mir den kleinen Finger der linken Hand. Ich verkniff mir aufzugeben oder mich unter Tonis wachsamem Blick zu beklagen. Im Vorjahr hatte ich das Halbfinale erreicht und war fest entschlossen, dieses Mal zu gewinnen. Also spielte ich bis zum Ende und besiegte Toméu im dritten Satz des Endspiels mit 6:4. Dabei musste ich den Schläger mit vier Fingern packen, während der gebrochene kleine Finger schlaff herunterhing. Auf ein Tapen des Fingers verzichtete ich, weil es dann schwerer geworden wäre, den Ball zu schlagen. Am schwierigsten war der Vorhand-Drive. Bei der beidhändigen Rückhand verlagert sich die Belastung stärker auf die rechte Hand. Ich spielte so lange mit Schmerzen, dass ich sie beinahe vergaß. Es ist eine Frage der Konzentration, alles außer das eigentliche Spiel aus dem Kopf zu verbannen. Dieses Prinzip galt durchgängig während meiner ganzen Karriere. Titín, der häufig erlebt hat, dass ich mich vor einem Match in furchtbarer Verfassung befand, aber nach Beginn des Spiels perfekt in Form war, ist der Ansicht, dass der Wettkampf durch das freigesetzte Adrenalin den Schmerz stillen hilft. Ganz gleich, wie es sich erklären lässt, bin ich rückblickend stolz auf den Teenager, der ich einmal war. Damals habe ich einen Maßstab für mein eigenes Durchhaltevermögen gesetzt, der mir seither als Beispiel und Mahnung dafür dient, dass man den Geist tatsächlich über die Materie stellen kann und kein Opfer zu groß ist, wenn man etwas unbedingt will.
Nachdem ich den letzten Punkt gewonnen hatte, bekam ich zu spüren, was ich in diesem Endspiel gegen Toméu geleistet hatte. Die Schmerzen waren so stark, dass ich nicht einmal den Pokal hochheben konnte. Ein Junge musste mir helfen, ihn für das Erinnerungsfoto zu halten.
Als ich etwa 14 Jahre alt war, bekam ich eine Chance, mich von Toni zu lösen. Man bot mir ein Stipendium am Hochleistungszentrum San Cugat in Barcelona an, eine der besten Tennisakademien für Profispieler in Europa, die eine halbe Flugstunde von Mallorca entfernt ist. Für mich war es eine weitere schwere Entscheidung, und ich muss zugeben, dass
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