RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
kaum vorstellbar. Auch wenn sich mein Kindheitstraum, Profifußballer zu werden, nie erfüllt hatte, kam ich hier der Atmosphäre näher denn je, die Fußballspieler erleben, wenn sie zu einem wichtigen Spiel auf den Platz kommen oder bei einem Meisterschaftsspiel ein Tor schießen. Bei jedem Punkt, den ich machte, brachen praktisch alle 27000 Zuschauer in Jubel aus, als hätte ich ein Tor geschossen. Ich muss allerdings zugeben, dass ich mehrfach auch so reagierte wie ein Fußballer nach einem Tor. Ich glaube, ich habe die Arme noch nie so oft in die Höhe gerissen oder bin während eines Tennisspiels so häufig vor Freude in die Luft gesprungen. Ich weiß nicht, wie Andy Roddick sich dabei fühlte, aber es gab keine andere Möglichkeit, auf diese emotional aufgeladene Stimmung zu reagieren, die mich überschwemmte. Das Tennispublikum hat in der Regel selten sonderlich großen Einfluss auf das Spielergebnis, anders als etwa beim Fußball oder Basketball. Hier war es anders. Um den Heimvorteil hatte ich schon immer gewusst, ihn aber nie zuvor so erlebt. Noch nie hatte ich gespürt, welchen Ansporn die Menge dir geben kann, wie das anfeuernde Gejohle dich zu ungeahnten Höhenflügen beflügeln kann.
Ich konnte die Hilfe brauchen. Es gab zwar kein Blutvergießen, aber zwischen Roddick und mir fand da unten in diesem erstaunlichen Amphitheater in der warmen Wintersonne Spaniens ein regelrechter Kampf statt. Es sollte das längste Match werden, das ich in meinem Leben bis dahin gespielt hatte, 3 Stunden und 45 Minuten mit endlos langen Ballwechseln, ständigem Hin-und Herdreschen, wobei er auf Chancen lauerte, ans Netz zu stürmen, während ich mich fast immer an der Grundlinie hielt. Selbst wenn ich verlieren sollte, hätte ich dann zumindest meinen Teil dazu beigetragen, ihn für das Match am übernächsten Tag gegen Carlos auszulaugen, der sein erstes Match komfortabel gewonnen hatte. Den ersten Satz verlor ich im Tiebreak, aber das spornte die Zuschauer nur noch mehr an. Die nächsten drei Sätze gewann ich 6:2, 7:6 und 6:2. Viele der Ballwechsel sind mir noch lebhaft in Erinnerung: ein zweiter Aufschlag weit nach außen und mein Return, der nicht über, sondern seitlich um das Netz flog und zum Winner wurde; ein Rückhand-Passierschlag im Tiebreak des dritten Satzes, ein sehr kritischer Moment des Matchs. Und ich erinnere mich an den letzten Punkt des Spiels, den ich bei meinem Aufschlag gewann, als er eine zu lange Rückhand spielte. Ich fiel auf den Rücken und schloss die Augen; als ich sie wieder öffnete, sah ich meine Teamkameraden vor Freude tanzen. Der Lärm fühlte sich in meinen Ohren an, als würde ein Jumbojet im Tiefflug über uns hinwegdonnern.
Nun lagen wir mit 2:0 von fünf Spielen in Führung. Am nächsten Tag verloren wir, wie erwartet, das Doppel, und am dritten Tag gewann Carlos Moyá – unser wahrer Held, der seit Jahren hinter diesem Titel herjagte – sein Match gegen Roddick. Und das war’s. Ich brauchte nicht mehr gegen Mardy Fish anzutreten. Wir hatten das Finale 3:1 gewonnen, und damit gehörte der Daviscup uns. Es war der Höhepunkt meines Lebens und, wie sich herausstellen sollte, der Moment, ab dem die Tenniswelt aufmerkte und anfing, mich genauer zu beobachten. Hinterher sagte Andy Roddick etwas sehr Nettes über mich. Er erklärte, es gebe nicht viele Spieler, die für wahrhaft große Matchs geschaffen seien, aber ich gehöre eindeutig dazu. Tatsächlich hatte ich nach der überraschenden Entscheidung, mich für das Match gegen Roddick aufzustellen, mit erheblichem Druck fertig werden müssen, und das gab mir Selbstvertrauen, auf dem ich aufbauen konnte, wenn für mich die Zeit kommen würde, ganz allein die großen Matchs, die Grand-Slam-Finale zu spielen.
Ein Tennisspieler ist die Summe aller Matchs, die er gespielt hat. Als ich dreieinhalb Jahre später auf dem Centre Court in Wimbledon stand und versuchte, den dritten Satz gegen Federer zu gewinnen, dachte ich zwar nicht an dieses Daviscup-Finale, aber es hatte seine Spuren hinterlassen. Zumindest hatte es mir in den ersten beiden Sätzen geholfen, die ich gewonnen hatte. Aber zu Beginn des dritten Satzes spielte Federer einige brillante Bälle, und ich hing in den Seilen, vor allem im sechsten Spiel, in dem ich bei eigenem Aufschlag nach einer wirklich enttäuschenden Rückhand ins Netz mit 15:40 in Rückstand geriet. Zum ersten Mal in diesem Match verlor ich die Fassung und schrie meine Wut heraus. Ich war wütend auf mich,
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