RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
Jahren das Fußballspielen für den Tennissport aufgab. Da ich gesellig bin und Menschen um mich brauche, ist es schon merkwürdig, dass das Schicksal – weitgehend in Gestalt meines Onkels Toni – mich dazu gebracht hat, mich für die Karriere in einem Sport zu entscheiden, in dem man meist als Einzelkämpfer dasteht. Hier bot sich mir nun eine Gelegenheit, wieder einmal die gleiche kollektive Erregung wie an jenem unvergesslichen Tag in meiner Kindheit zu spüren, als unsere Fußballmannschaft die Balearenmeisterschaft gewann.
Mein Start in den Daviscup war allerdings nicht sonderlich vielversprechend, denn ich verlor die ersten beiden Spiele gegen die Tschechen, ein Einzel und ein Doppel. Wir spielten auf dem für mich schwierigsten, weil schnellsten Belag: Hartboden in der Halle, wo der Luftwiderstand am geringsten ist. Letzten Endes ging ich aber als Held aus dem Turnier hervor, da ich das letzte und entscheidende Match gewann. Ingesamt hatte ich mich nicht gerade mit Ruhm bekleckert, denn wenn wir diese Runde verloren hätten, hätte man mich durchaus dafür verantwortlich machen können (»Was macht er hier in dem Alter?«), aber wenn man das entscheidende Match gewinnt und damit der eigenen Mannschaft den Sieg mit dem im Daviscup knappest möglichen Vorsprung sichert, nämlich 3:2, ist alles andere vergessen – zum Glück für mich.
Als Nächstes spielten wir in den Niederlanden und gewannen, was allerdings nicht mir zu verdanken war, denn das einzige Match, in dem ich antrat, ein Doppel, verloren wir. Beim Halbfinale gegen die damals starke französische Mannschaft sah es hingegen völlig anders aus. Zum ersten Mal trat ich für mein Heimatland in Spanien an, in der Mittelmeerstadt Alicante, wo das heimische Publikum seine Unterstützung so laut herausbrüllte, wie ich es noch nie erlebt hatte. Wir hatten eine starke Mannschaft mit den Top-Ten-Spielern Carlos Moyá und Juan Carlos Ferrero sowie Tommy Robredo, der in der Weltrangliste auf Platz 12 stand. Ich gewann mein Doppel, rechnete in dieser Gesellschaft aber nicht damit, dass unsere Teamchefs mich für ein Einzel aufstellen würden. Das taten sie auch nicht, aber als sich Carlos plötzlich unwohl fühlte, wurde ich auf seinen Rat hin als Ersatz für ihn aufgestellt. Ich gewann mein Match, und zwar gut, und wir erreichten das Finale gegen die Vereinigten Staaten.
Bis dahin war ich nicht so nervös, wie ich es eigentlich hätte sein müssen. Wäre ich älter gewesen, wäre ich mir des hohen nationalen Erwartungsdrucks, der auf meinen Schultern lastete, vielleicht stärker bewusst gewesen. Rückblickend sehe ich, dass ich damals beinahe schon tollkühn und mit mehr Adrenalin als Köpfchen gespielt habe. Allerdings musste ich doch sehr ernüchtert schlucken, als ich das Stadion sah, in dem das Finale stattfinden sollte. Es war in der schönen Stadt Sevilla, aber nicht gerade in der schönsten Umgebung. Der Centre Court von Wimbledon war es nicht, und ich würde auch nicht das Echo meiner Schläge hören, wenn der Wettkampf erst einmal begonnen hätte. Stille stand nicht auf dem Programm. Wir würden uns auch nicht im Entferntesten eingehüllt oder abgeschirmt fühlen. Man hatte einen Tennisplatz in einer Hälfte eines Sportstadions improvisiert, das 27 000 Zuschauern Platz bot: die größte Zuschauermenge, die je ein Tennisspiel live erleben sollte. Nahm man nun noch den berühmten Überschwang der Sevillanos hinzu, dann konnte man die andächtige Stille von Wimbledon oder aller anderen Tennisplätze der Welt, auf denen ich je gespielt hatte, getrost vergessen. Hier würden wir vor einem johlenden Fußballpublikum Tennis spielen. Obwohl ich im Finale nur für ein Doppel eingeteilt war, und zwar mit Tommy Robredo (der als der Ältere weitaus mehr Verantwortung für Erfolg oder Niederlage zu schultern hatte), verspürte ich mit meinen 18 ½ Jahren mehr Druck und Anspannung als je zuvor in den zehn langen Jahren meiner Wettkämpfe. Unsere Gegner waren die Zwillingsbrüder Bob und Mike Bryan, das wohl beste Doppelteam aller Zeiten und damals die Nummer eins der Weltrangliste. Man erwartete nicht, dass wir gewinnen würden, aber allein schon die Vorfreude auf ein besonderes Ereignis, die Stimmung in der Stadt und die Aufregung, wenn die Leute uns sahen, überstiegen alles, was ich jemals vor einem Tennisturnier erlebt hatte oder mir hätte vorstellen können.
Ich hatte die Hoffnung auf einen Sieg keineswegs aufgegeben, aber unsere Teamchefs rechneten
Weitere Kostenlose Bücher