RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
die Zeit zu vertreiben, mich aus meinen trübsinnigen Grübeleien herauszuholen und mir ein bisschen Hoffnung zu machen. Toni spielte mir Bälle zu, anfangs aus kurzer Entfernung, später, als ich den Dreh heraus hatte, von der anderen Seite des Netzes. Sitzend spielte ich die Bälle mit Volleys, Rückhand oder Vorhand zurück. Wir variierten die Übungen so gut es unter diesen Umständen ging, was nicht sonderlich vielfältig war. Aber wie erhofft, hob es meine Stimmung, auch wenn es mein Spiel nicht verbesserte und auch meinen Armen nicht gerade gut tat. Dieses seltsame Training, das uns verblüffte Blicke von Zuschauern eintrug, machten wir über drei Wochen täglich 45 Minuten, und jedes Mal waren meine Unterarme anschließend steif und taten weh. Außerdem schwamm ich, die einzige sportliche Betätigung, bei der ich meine Beine einsetzen konnte. Da ich aber kein guter Schwimmer bin, war dieser Zeitvertreib für mich kein sonderlicher Spaß, obwohl es gut war, sich etwas Bewegung zu verschaffen.
Ruhe, völlige Ruhe war gut für meinen Fuß. Der Schmerz ließ nach. Der Kahnbeinspezialist in Madrid, dessen Diagnose anfangs wie ein Schock auf mich gewirkt hatte, erwies sich als meine Rettung. Nach vielem Experimentieren hatten wir passende Sohlen für meine Schuhe so weit entwickelt, dass ich damit zurechtkam. Es war keine Ideallösung für meinen Körper als Ganzes (uns war klar, dass sie Nebenwirkungen nach sich ziehen würde), aber sie milderte das Kahnbeinproblem. Die Hauptlast des Körpergewichts verteilte sich nun auf die anderen Fußknochen, was das lädierte Kahnbein entlastete. Nike entwickelte für mich einen breiteren und höheren Schuh, als ich ihn früher getragen hatte. Ich brauchte einen größeren Schuh, weil die Sohle nun erheblich dicker und höher gewölbt war, vor allem in dem Bereich, der als Polster für das Kahnbein diente. Anfangs war es unangenehm, sich an die neue Sohle zu gewöhnen, weil der Schuh das Gewicht auf eine andere Region als üblich verlagerte und damit meine Balance beeinträchtigte. Wie der Spezialist vorhergesagt hatte, wurden meine Muskeln an Stellen strapaziert, die mir vorher nie Probleme bereitet hatten, im Rücken und an den Hüften.
Wir taten, was wir konnten, aber als ich mit den neuen Schuhen zu trainieren begann, stellten sich ständig neue Schwierigkeiten ein und zwangen uns zu winzigen, aber entscheidenden Veränderungen der Sohlen. Das ist bis heute so geblieben. Es ist eine Dauerbaustelle. Bislang haben wir die Anpassung noch immer nicht absolut richtig hinbekommen. Vielleicht gibt es keine perfekte Lösung. Tatsache ist, dass seitdem Jahre vergangen sind, mein Kahnbein nach wie vor schmerzt und mich zuweilen zwingt, das Training zu verkürzen. Auf diesen Körperteil verwendet Titín bei der Massage die meiste Zeit. Wir haben das Problem gerade so unter Kontrolle, dürfen es aber nie aus den Augen lassen.
Die fabelhafte Nachricht war, dass ich im Februar wieder uneingeschränkt trainieren konnte. Noch im selben Monat nahm ich in Marseille an meinem ersten Turnier nach einer Zwangspause von nahezu vier Monaten teil. Auf den Platz zu gehen, aus den Lautsprechern meinen Namen zu hören, die Zuschauer zu sehen und zu hören, hinauszugehen und mich vor einem Match einzuschlagen: Davon hatte ich geträumt, oder besser, kaum noch zu träumen gewagt, und nun war ich wieder da. Noch hatte ich nichts gewonnen, aber allein schon auf den Platz zu gehen machte mich fast so euphorisch wie ein Sieg. Ich hatte das Leben wiedergewonnen, das ich verloren glaubte. Noch nie war mir so bewusst, wie wertvoll das war, was ich besaß, welches unermessliche Glück ich hatte, ein Profitennisspieler zu sein. Gleichzeitig begriff ich jedoch deutlicher denn je, dass eine Sportlerkarriere kurz ist und jeden Augenblick vorzeitig enden kann. Es galt, keine Zeit zu verschwenden. Von nun an würde ich jede Gelegenheit, die sich mir bot, mit beiden Händen ergreifen. Denn von diesem Zeitpunkt an war mir klar, dass ich nie sicher sein konnte, ob das Match, das ich gerade spielte, nicht mein letztes wäre. Aus dieser Einsicht gab es für mich nur eine Schlussfolgerung: Ich musste mich auf jedes Match im Training so vorbereiten und es so spielen, als ob es mein letztes wäre. Ich war dem Tennistod nahe gewesen, hatte dem Ende meiner Karriere ins Auge gesehen, und diese Erfahrung, so furchtbar sie war, hatte mich mental stärker gemacht und mir vermittelt, dass das Leben – jedes Leben – ein
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