RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
schwächelte und weiter die sich mir bietenden Chancen verpatzen würde. Ich dachte: »Du fühlst dich gut, obwohl du kurz die Nerven verloren hast. Bei der nächsten Chance, die du bekommst, bei der nächsten Halbchance wagst du einen harten Return.« Und genau das tat ich bei seinem zweiten Aufschlag. Ich drosch eine cross geschlagene Vorhand zurück, die für ihn unerreichbar war. Eigentlich hatte ich gar nicht vor, so nah an die Linie zu spielen, konnte mich über das Ergebnis aber nicht beklagen.
Den nächsten Ballwechsel gewann er mit einem kraftvollen Aufschlag, verlor dann aber genauso die Nerven, wie es mir beim ersten Ballwechsel erging. Ihm gelang ein starker erster Aufschlag, den ich schwach returnierte, aber statt den Ball wegzudreschen, versuchte er einen Stoppball, der es nicht einmal übers Netz schaffte. Obwohl ich mir in diesem Stadium nur mehr vorgenommen hatte, meinen eigenen Aufschlag durchzubringen, sah ich plötzlich eine unerwartete Gelegenheit, ein 30:30 zu schaffen, aber ihm gelangen zwei starke erste Aufschläge und damit gehörte das Spiel ihm. Den ersten Ballwechsel meines Aufschlagspiels verlor ich mit einer Vorhand, die knapp ins Aus ging. Es ist nie gut, bei eigenem Aufschlag 0:15 in Rückstand zu geraten, und das galt hier umso mehr, als jeder einzelne Punkt entscheidend war. Ich kämpfte darum, meinen Aufschlag durchzubringen, und das war auch den Zuschauern klar, die umso mehr Energie aufbrachten, je länger das Match dauerte. Ich blieb gefasst und behielt mein Pokerface bei. Den nächsten Ballwechsel gewann ich, und nun ließ Federer erkennen, wie verunsichert er war, als er bei einer hohen Topspin-Vorhand von mir, die genau auf der Linie landete, Einspruch erhob. Unser Spiel war nicht mehr auf dem gleichen Niveau wie im vierten Satz. Beide loteten wir uns nervös gegenseitig aus. Der Unterschied war allerdings, dass meine ersten Aufschläge im Gegensatz zu seinen nicht im Feld landeten, aber nach Fehlern von uns beiden gewann ich das Spiel zu 30. Ich ballte die Rechte zur Faust und schaute zu meiner Schwester, meinen Onkeln und Tanten hinauf. Sie nickten mir ernst, aber ermutigend zu. Manche der Fans mochten lächeln, nicht meine Familie.
Es stand 1:1 und Federer hatte Aufschlag. Seine ersten Aufschläge landeten alle zuverlässig im Aufschlagfeld. Aber das war der einzige Teil seines Spiels, der gut lief. Sobald es mir gelang, auch nur ein bisschen die Initiative an mich zu reißen, verpatzte er einfache Bälle. Völlig unerwartet machte er einen Doppelfehler, und es war Einstand. Keiner von uns war in Bestform, aber ich spielte weniger schlecht. Offenbar hatte er den Schwung des vierten Satzes verloren. Stück für Stück verschob sich die Balance zu meinen Gunsten. Dann schlug ich ohne Not eine Vorhand zu lang und schüttelte den Kopf. Obwohl mir danach war, brüllte ich nicht vor Wut, ärgerte mich aber, weil ich ihm einen Punkt zu jenem Zeitpunkt geschenkt hatte, als der gesamte Druck auf ihm hätte lasten sollen. Beim nächsten Ballwechsel spielte ich erneut einen Stoppball, dieses Mal aber als Angriff, der selbst für Federer zu gut war, um auch nur den Versuch zu unternehmen, ihn zu erreichen. Doch dann gewann er die beiden nächsten Punkte und damit das Spiel.
Wieder einmal musste ich meinen Aufschlag durchbringen, um zu verhindern, dass er davonzog. Aber mein Selbstvertrauen nahm rapide zu, weil ich spürte, dass die enorme Anstrengung, zwei Sätze Rückstand aufzuholen, allmählich an seinen Kräften zehrte. Es blieb abzuwarten, ob er sein Niveau aus dem dritten und vierten Satz halten konnte, die er jeweils mit dem knappest möglichen Vorsprung gewonnen hatte. Vielleicht war das eine sehr optimistische Interpretation der damaligen Lage, aber die Alternative, mir negative Gedanken zu erlauben, wäre einem Selbstmord gleichgekommen.
Ich brachte meinen Aufschlag problemloser durch als er sein vorangegangenes Spiel, was teilweise einem gravierenden Fehler von ihm zu verdanken war. Wieder einmal schlug ich einen schlechten Stoppball – für den Bruchteil einer Sekunde fraß sich mein Kopf fest –, aber er vergab diese klare Chance auf einen Gewinnschlag und spielte den Ball viel zu lang, wie es eigentlich nur einem normalen Clubspieler passieren sollte. In dieser Phase des Matchs lief nicht alles rund, aber es stand 2:2, und ich hatte in diesem Satz bislang einige Punkte mehr geholt als er, was sich zwar nicht im Spielstand niederschlug, ihn aber mental stärker
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