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RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)

RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)

Titel: RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Carlin , Rafael Nadal
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belastete als mich.
    Der Wind frischte auf. Ich warf einen Blick zum Himmel. Er verdunkelte sich zusehends und machte den Linienrichtern ihre Arbeit schwer. Im fünften Spiel erhob jeder von uns einmal Einspruch bei seinem Aufschlag, der beide Male zu meinen Gunsten ausfiel. Es kam zum Einstand, und dann fing es an zu regnen. Federer signalisierte, dass er eine Unterbrechung wünschte, und der Schiedsrichter willigte ein. Auf den ersten Blick war das nicht gut für mich. Bei der ersten Regenpause hatte ich mit zwei Sätzen in Führung gelegen, aber danach hatte er zwei Sätze aufgeholt. Zu Beginn des fünften Satzes spielten wir beide schlechter als in jeder anderen Phase des Matchs, allerdings war er noch schlechter als ich, und sein Aufschlag erwies sich als seine beste, wenn auch nahezu einzige Waffe. Dennoch war nicht ich derjenige, der Mühe hatte, seinen Aufschlag durchzubringen, sondern er. Ich war, glaube ich, besser in Form, und unterm Strich wäre es für mich günstiger gewesen, das Spiel nicht zu unterbrechen. Er brauchte die Verschnaufpause dringender als ich.
    Dieser Ansicht war, seinem Aussehen nach zu urteilen, offenbar auch Toni, als er und Titín zu mir in die Umkleidekabine kamen. Als ich mich später mit meiner Familie über das Match unterhielt, erfuhr ich, dass sie ebenso dachten und den Eindruck hatten, sämtliche Mächte des Schicksals hätten sich gegen mich verschworen. Wie mein Vater erklärte, waren die beiden Regenpausen, vor allem aber die zweite, für ihn die reinste Folter. Die Logik sagte ihm, dass es mir mehr entsprochen hätte, weiterzuspielen, weil es mir nach seinem Eindruck schwerer fiel als Federer, den eigenen Rhythmus wiederzufinden. »Nach meiner Einschätzung bedeutete der Regen, dass du verlieren würdest«, gestand er mir später. Meine Mutter sah, dass ich in dieser Phase besser spielte als Federer, und sie war sicher, dass der Regen meinen Schwung bremsen und sich zu Federers Gunsten auswirken würde. Meine übrigen Verwandten im Stadion sahen es ebenso. Sie fragten sich, was sie in ihrem Leben wohl falsch gemacht haben mochten, dass sie solche Folterqualen erleiden mussten, und konnten es kaum aushalten, weiter zuzuschauen. Sie alle dachten: »Wenn ich mich schon so fühle, wie muss es Rafa dann erst gehen?«
    Tonis Miene war die Anspannung anzusehen, als er in die Umkleidekabine kam. Titín, der mit ihm hereinkam, zeigte eine undurchdringliche Miene, die von seiner inneren Befindlichkeit nichts verriet, und überließ es mir, die Stimmung vorzugeben. Später erzählte er mir, dass er ein nervliches Wrack war und seine Gefühle hinter der Maske seiner professionellen Pflichten verbarg, als er meine Bandagen wechselte und sich meinen anfälligen linken Fuß anschaute, der zum Glück ohne Schmerzen war und mir keine Probleme bereitete. Mit gesenktem Kopf erledigte Titín schweigend seine Arbeit. Wie immer war es Tonis Aufgabe, in dieser Situation die richtigen Worte zu finden. Aber dieses Mal hatte er Mühe. Als im fünften Satz der Regen einsetzte, fand er sich schon damit ab, dass ich verlieren würde, wie er später zugab. Er bemühte sich, eine tapfere Miene aufzusetzen, seine wahren Gefühle zu verbergen und mir eine kleine Predigt zu halten, die ich schon öfter von ihm gehört hatte. Aber ich merkte, dass er nicht voll hinter dem stand, was er gerade sagte. Ich saß auf der Bank, er stand vor mir und sagte. »Hör zu, so gering die Möglichkeit eines Sieges auch sein mag, kämpfe bis zum Ende. Der Lohn ist zu hoch, um es nicht zu versuchen. Viel zu oft kämpfen Spieler aus Verärgerung oder Erschöpfung nicht so, wie die Umstände es verlangen, aber solange es eine Chance, auch nur eine einzige Chance gibt, musst du weiterkämpfen, bis alles verloren ist. Wenn du es bis zum 4:4 schaffst, gewinnt nicht der beste Spieler, sondern derjenige, der seine Nerven besser im Griff hat.«
    Offensichtlich war Toni in der Annahme in die Umkleidekabine gekommen, ich sei über die im dritten und vierten Satz verpassten Chancen am Boden zerstört, rede mir ein, sie würden sich nie wieder bieten, und er stünde nun vor der unmöglichen Aufgabe, mich in meiner völlig niedergeschlagenen Stimmung aufzurichten. Aber er täuschte sich in mir. Ihn verfolgte wohl ebenso wie meine übrige Familie die Erinnerung an meinen Zustand nach der Niederlage im Vorjahr, und er nahm an, dass es dieses Mal nach dem gleichen Muster ablaufen würde. Bei mir lief es aber anders. Meine Antwort

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