Rage Zorn
sollen.«
»Hoffentlich glauben Sie jetzt nicht, ich könnte Ihnen Ihre Trauer nicht nachfühlen«, sagte er, während er sie den stillen Gang hinunterführte.
»Ganz und gar nicht.«
Jacks persönliche Dinge waren in einer Abstellkammer verstaut worden. Nachdem der Direktor die Tür aufgesperrt hatte, deutete er auf drei zugeklebte Kartons in einem Metallregal. Es waren kleine Kartons, und sie enthielten nicht viel. Paris hätte sie mit Leichtigkeit alle auf einmal zu ihrem Auto tragen können, aber er bestand darauf, ihr zu helfen.
»Bitte entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen oder Ihren Angestellten Unannehmlichkeiten bereitet habe, weil ich so lange nicht gekommen bin«, sagte sie, während sie die Kartons in den Kofferraum stellten.
»Ich kann verstehen, dass Sie nicht gern herkommen. Sie verbinden bestimmt keine angenehmen Erinnerungen mit unserem Hospital.«
»Nein, aber ich musste mir nie Sorgen machen, ob Jack bei Ihnen gut behandelt wird. Danke.«
»Ihre groÃzügige Spende war uns Dank genug.«
Nachdem sie Jacks ausstehende Rechnungen beglichen hatte, hatte sie den Rest seines Erbes dem Pflegeheim vermacht, darunter auch die ansehnliche Lebensversicherung, die er bei ihrer Verlobung abgeschlossen hatte. Sie war zwar als Erbberechtigte eingetragen, aber sie hätte das Geld auf gar keinen Fall behalten können.
Sie hatte sich auf dem Parkplatz von Meadowview in der glühend heiÃen Sonne von dem Direktor verabschiedet, und beiden war klar gewesen, dass sie sich höchstwahrscheinlich nie wiedersehen würden.
Jetzt standen die drei Kartons auf Parisâ Küchentisch. Es würde nie einen geeigneten Moment geben, sie zu öffnen, und sie wollte die Sache lieber schnell hinter sich bringen, als sie noch länger vor sich herzuschieben. Mit einem Obstmesser schnitt sie die Klebestreifen auf allen drei Kartons durch.
Im ersten waren seine Pyjamas. Vier Stück, säuberlich zusammengelegt. Paris hatte sie ihm gekauft, als er in Meadowview eingeliefert worden war. Inzwischen waren sie so oft gewaschen worden, dass sie ganz weich waren, aber ihnen haftete immer noch der klebrige antiseptische Geruch an, den sie mit den Gängen des Pflegeheims assoziierte. Sie klappte den Deckel wieder zu.
Der zweite enthielt vor allem Papiere, jene notariell beglaubigten und dreifach kopierten Dokumente von Versicherungsgesellschaften, Gerichten, Krankenhäusern, Ãrzten und Anwälten, in denen Jack Donner auf eine Sozialversicherungsnummer, eine Ziffer in der Statistik, einen Klienten oder einen Eintrag in einem Buchhaltungsprogramm reduziert wurde.
Als Testamentsbevollmächtigte musste sie alle rechtlichen Fragen
klären, die sich bei seinem Tod auftaten. All die Formsachen waren inzwischen Vergangenheit, die Dokumente überholt. Sie noch einmal zu lesen war weder notwendig noch erbaulich.
Damit blieb nur der dritte Karton. Es war der kleinste. Noch bevor sie ihn öffnete, war ihr klar, dass der Inhalt dieses Kartons sie am meisten treffen würde, weil darin Jacks persönliche Dinge lagen. Seine Armbanduhr. Sein Portemonnaie. Ein paar seiner Lieblingsbücher, die sie ihm während der täglichen Besuche in Meadowview vorgelesen hatte. Eine gerahmte Fotografie seiner Eltern, die bereits verstorben waren, als Paris ihn kennen gelernt hatte. Sie hatte es immer für einen Segen gehalten, dass sie nicht miterleben mussten, wie ihr Kind auf einen lebenden Leichnam reduziert worden war.
Kurz nachdem sie ihn nach Meadowview gebracht hatte, hatte sie sein Haus leer geräumt. Seine Kleider hatte sie in die Altkleidersammlung gegeben. Dann hatte sie sich innerlich gestählt und seine Möbel, sein Auto, seine Skier, das Boot, die Tennisschläger, die Gitarre und zuletzt das Haus selbst verkauft, um die astronomischen Rechnungen zu bezahlen, die seine Krankenversicherung nicht übernahm.
Dies war demnach alles, was Jack Donner bei seinem Tod noch besessen hatte. Nichts war ihm geblieben, nicht einmal seine Würde.
Sein Portemonnaie war vom vielen Tragen weich. Die längst abgelaufenen Kreditkarten steckten noch in ihren Fächern. Hinter einer Plastikfolie hervor lächelte ihr eigenes Gesicht zu ihr auf. Sie bemerkte einen Papierfetzen hinter dem Foto und zupfte ihn heraus. Es war ein Zeitungsausschnitt, den Jack mehrmals gefaltet hatte, damit er hinter ihr Bild passte.
Sie faltete ihn auf und blickte auf ein weiteres
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