Rage Zorn
Initiationsriten hatte sich der Eigenbrötler Wilkins zum Menschenfeind gewandelt. Er hatte gelernt, sich zur Wehr zu setzen, aber er wehrte sich mit Gehirn statt mit Muskelschmalz. Auch ohne dass er seine Fäuste eingesetzt hätte, besaà er ein erstaunliches Talent, anderen Angst zu machen. Er kämpfte mit allen Mitteln, und er machte keine Gefangenen.
Er stand nicht auf, als Stan zu ihm an den kleinen runden Cocktailtisch trat. Er begrüÃte ihn nicht einmal. Als die hübsche junge Kellnerin herbeigeeilt kam, sagte er zu ihr: »Bringen Sie ihm ein Mineralwasser.«
Stan hasste Mineralwasser, aber er änderte die Bestellung nicht ab. Er würde alles tun, damit diese Begegnung so schmerzlos wie möglich an ihm vorüberging. Deshalb setzte er ein freundliches Lächeln auf und begann mit einer Schmeichelei. »Du siehst gut aus, Onkel.«
»Ist das ein Seidenhemd?«
»Ãh, ja.«
In ihrer Familie zogen sich alle gut an. Auch Wilkins war immer makellos gekleidet und frisiert, so als wollte er damit sein unvorteilhaftes ÃuÃeres ausgleichen. Seine Hemden und Anzüge waren maÃgeschneidert, gnadenlos gestärkt und gebügelt. Eine Falte oder ein loser Faden hatten nicht die geringste Chance.
»Gibst du dir eigentlich besondere Mühe, dich wie eine Tunte anzuziehen? Oder entspricht dieser Schwulenlook deiner Natur?«
Stan sagte nichts, sondern nickte nur dankend der Kellnerin zu, die gerade sein Mineralwasser brachte.
»Diese Neigung zu auffallender Kleidung hast du bestimmt von deiner Mutter geerbt. Sie liebte Rüschen und so weiter. Je mehr, desto besser.«
Stan widersprach ihm nicht, obwohl sein Hemd ganz und gar nicht auffallend war, weder im Stil, noch in der Farbe. Und er konnte sich nicht entsinnen, je auch nur eine Rüsche an seiner
Mutter gesehen zu haben. Sie hatte sich immer korrekt bis zur Perfektion angezogen. AuÃerdem hatte sie einen exzellenten Geschmack gehabt und war Stans Ansicht nach immer noch die schönste Frau, die ihm je begegnet war.
Aber irgendetwas davon vorzubringen war ein vergebliches Unterfangen, und so wechselte er das Thema. »Wie war dein Gespräch mit dem Manager?«
»Der Laden wirft immer noch Geld ab.«
Warum, dachte Stan, macht er dann ein so finsteres Gesicht? »Die letzten Quoten waren super«, bemerkte er. »Mehrere Punkte über denen der letzten Saison.«
Er hatte seine Hausaufgaben gemacht, um seinen Onkel mit diesem Zitat beeindrucken zu können. Er hoffte bloÃ, dass ihn sein Onkel nicht in Verlegenheit brachte, indem er nachfragte, von wann bis wann die Saison ging oder was genau ein Punkt bedeutete.
Sein Onkel gab ein unbestimmtes Grunzen von sich. »Genau darum ist die Angelegenheit mit dieser Paris Gibson so ärgerlich.«
»Ja, Sir.«
»Wir dürfen nicht zulassen, dass unser Sender in die Sache hineingezogen wird.«
»Er wurde nicht wirklich hineingezogen , Onkel. Nur gestreift.«
»Ich will nicht, dass wir auch nur am Rande mit etwas so Geschmacklosem wie einer Kindesentführung in Verbindung gebracht werden.«
»Absolut nicht, Sir.«
»Und darum reiÃe ich dir den Kopf ab und piss dir in den Hals, wenn sich herausstellt, dass du irgendwas mit diesen Anrufen zu tun hast.«
Onkel Wilkins hatte während seiner Militärzeit nicht nur gelernt, gemein zu sein. Sondern auch, sich unmissverständlich auszudrücken. Die Grobheit seiner Worte wurde nur noch von ihrer Durchschlagskraft übertroffen.
Stan sank verschüchtert in sich zusammen. »Wie kommst du überhaupt auf den Gedanken, dass ich â«
»Weil du ein völliger Versager bist. Du warst schon immer ein Versager, seit dich deine Mutter ausgestoÃen hat. Von deinem ersten Schrei an wusste sie, dass du ein winselnder kleiner ScheiÃer bist. Ich glaube, nur deswegen hat sie sich einfach zum Sterben hingelegt, als sie später krank wurde.«
»Sie hatte Bauchspeicheldrüsenkrebs.«
»Was eine praktische Entschuldigung für sie war, dich endlich loszuwerden. Auch dein Vater wollte sich um keinen Preis mit dir belasten. Nur deshalb hat er so verzweifelt an seiner Pistole genuckelt, bis sie ihm den Hinterkopf weggeblasen hat.«
Stans Kehle war zugeschnürt. Er brachte keinen Ton heraus.
Aber Onkel Wilkins lieà nicht locker. »Dein Vater war schon immer ein Schwächling, und deine Mutter hat ihn noch schwächer
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