Rage Zorn
Wohnwagen hatte seine letzte Reise längst hinter sich. Er stand schon so viele Jahre auf einem Fleck, dass eine
Ecke nach unten hing. Vorn grenzte ein hoher Maschendrahtzaun mit Stacheldrahtkrone einen mikroskopisch kleinen Garten ab, in dem nichts gedieh auÃer etwas giftiger Mohrenhirse und verwehtem Papier. Das einzige Zugeständnis an landschaftsgärtnerische Bemühungen waren zwei gesprungene Tontöpfe, aus denen verblichene Plastikringelblumen sprossen.
Ein Kind aus der Nachbarschaft hatte irgendwann einen FuÃball über den Zaun in den Hof gekickt und sich nie die Mühe gemacht, ihn wiederzuholen. Ihm war schon längst die Luft ausgegangen. An der Hauswand lehnte ein Grill vom Flohmarkt, der nur noch zwei Beine hatte. Der Boden war komplett durchgerostet. Die Fernsehantenne auf dem Dach war fast im rechten Winkel abgeknickt.
Es war eine Bruchbude, und doch war es ein Heim.
Ein Heim für drei vergessene, verwilderte Katzen, die nie stubenrein geworden waren, und für eine Schlampe, die so süchtig nach Kaffee und Winstons war, dass sie trotz des fahrbaren Sauerstofftanks, mit dem sie über einen dünnen Schlauch verbunden war, eine nach der anderen wegqualmte.
Sie pfiff scheinbar aus dem letzten Loch, als sich die Tür zu ihrer Behausung öffnete und ein heller Lichtstreifen über den Bildschirm des Fernsehers fiel. »Mama?«
»Mach die Dreckstür zu. Ich kann nichts erkennen, wenn die Sonne auf den Fernseher scheint, und jetzt läuft gerade meine Serie.«
»Du und deine Serien.« Lancy Ray Fisher, auch bekannt als Marvin Patterson, trat ein und schloss die Tür. Der Raum versank in rauchiger Dunkelheit. Das SchwarzweiÃbild des Fernsehers war wieder deutlicher zu sehen, aber nur geringfügig.
Er ging geradewegs zum Kühlschrank und warf einen Blick hinein. »Da ist nichts zu essen drin.«
»Du bist hier nicht bei McDonaldâs, und auÃerdem hat dich keiner eingeladen.«
Er stöberte in den Untiefen des Kühlschranks herum, bis er eine Scheibe Salami aufgetrieben hatte. Oben auf dem Kühlschrank
lag ein Kasten Toastbrot. Er schubste eine Katze beiseite, damit er hinkam, und legte die Salami dann zwischen zwei altbackene Scheiben. Das müsste reichen.
Seine Mutter starrte schweigend auf den Fernseher, bis die nächste Werbepause kam. »Was hast du angestellt, Lancy?«
»Wie kommst du darauf, dass ich was angestellt habe?«
Sie zündete sich schnaubend eine Zigarette an.
»Wenn du weiter neben diesem Sauerstofftank rauchst, wirst du irgendwann in die Luft fliegen. Ich hoffe nur, dass ich dann nicht in der Nähe bin.«
»Mach mir auch soân Sandwich.« Er gehorchte und bekam, als er es ihr reichte, zu hören: »Du kommst immer nur vorbei, wenn du in der ScheiÃe steckst. Was ist jetzt wieder los?«
»Nichts. Der Vermieter lässt meine Wohnung neu streichen. Darum muss ich ein paar Tage lang ausziehen.«
»Ich dachte, du hättest eine neue heiÃe Freundin. Wieso bleibst du nicht bei der?«
»Wir haben uns getrennt.«
»Das passt. Hat sie rausgefunden, dass du ein Knastbruder bist?«
»Ich bin kein Knastbruder mehr. Ich bin ein ehrbarer Bürger.«
»Und ich bin die Königin von Saba«, pfiff sie.
»Ich habe mich gebessert, Mama. Sieht man mir das nicht an?«
Er streckte die Arme zu beiden Seiten aus. Sie betrachtete ihn von oben bis unten. »Was ich seh, sind neue Anziehsachen, aber der Mann darin hat sich nicht verändert.«
»Habe ich wohl.«
»Machst du immer noch diese schmutzigen Filme?«
»Es waren Videos, Mama. Und es waren nur zwei. AuÃerdem ist das Jahre her, und ich habe damals nur einem Freund zuliebe mitgespielt.«
Einem Freund, der ihn in Kokain ausgezahlt hatte. Um die Nase richtig voll zu kriegen, brauchte er sich nur auszuziehen und zu ficken. Aber dann hatte Lancy angefangen, eine der
»Schauspielerinnen« nicht nur vor laufender Kamera, sondern auch in den Drehpausen zu ficken, und der eifersüchtige Regisseur hatte sich daraufhin über die GröÃe seines »Päckchens« beschwert. Lancy würde in einem Medium, in dem es allein auf die GröÃe ankam, einfach nicht mehr den Ansprüchen genügen. »Nimmâs nicht persönlich, klar?«
Natürlich hatte Lancy es sehr wohl persönlich genommen. Sie waren getrennte Wege gegangen, aber davor hatte Lancy den Regisseur
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