Rage Zorn
ausgesprochen hatte, Janey umzubringen? Was hätte sie sagen können, wie hätte sie ihn davon abhalten können, den letzten Schritt zu tun und sie zu töten?
»Ms Gibson?«
Sie schlug die Augen auf. Vor ihr stand eine zierliche, offensichtlich zutiefst verunsicherte Frau. Ihr im Grunde hübsches Gesicht wirkte verhärmt. Die Handtasche hielt sie mit beiden Händen umkrallt. Die Haut spannte sich so fest über ihren Knöcheln, dass sie wie nackte Knochen aussahen. In ihrer Angst hatte sie die Grenze vom Zierlichen zum Zerbrechlichen überschritten.
Trotz ihrer tapferen Miene sah sie so standfest aus wie eine Pusteblume.
Paris versuchte automatisch, mit einem Lächeln die Anspannung der Fremden zu lösen. »Ja, ich bin es.«
»Ich dachte schon, dass Sie es sind. Darf ich mich zu Ihnen setzen?«
»Natürlich.« Paris rückte auf der Bank zur Seite, und die Frau setzte sich. »Verzeihung, aber⦠kennen wir uns?«
»Ich bin Toni Armstrong. Mrs Bradley Armstrong.«
Natürlich erkannte Paris den Namen wieder, und sie begriff sofort, warum die Frau so auÃer Fassung war. »Dann weià ich, warum Sie hier sind, Mrs Armstrong«, sagte sie. »Das ist bestimmt schrecklich schwierig für Sie. Ich wünschte, wir hätten uns unter angenehmeren Umständen kennen gelernt.«
»Danke.« Sie konnte ihre Fassade nur mit äuÃerster Mühe aufrecht erhalten, aber sie setzte alles daran, dafür musste ihr Paris Hochachtung zollen. »Als die Polizei unser Haus durchsucht hat, hat man das hier übersehen.« Sie zog eine CD aus ihrer Handtasche. »Da man Brads Computer konfisziert hat, dachte ich, dass ich der Polizei auch das hier aushändigen sollte. Es könnte etwas Wichtiges darauf sein.«
Ein befremdlicher Gedanke lieà Paris stutzen. »Mrs Armstrong, wie haben Sie mich eigentlich erkannt?«
Trotz der vielen Schlagzeilen, die Janeys Verschwinden gemacht hatte, war Parisâ Bild nirgendwo veröffentlicht worden. Wilkins Crenshaw hatte sich persönlich dafür ein- und die hiesigen Zeitungen unter Druck gesetzt, ihr Foto nicht abzudrucken. Paris machte sich deswegen keine Illusionen: Er tat das nicht aus Sorge um sie. Er wollte den Ruf seines Radiosenders schützen. So oder so hatte sich die örtliche Presse bereit erklärt, ihm den Gefallen zu erweisen. Paris war jedoch nicht sicher, wie lange diese groÃzügige Geste anhalten würde.
Toni Armstrong fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen und zog den Kopf ein. »Diese CD aus Brads Computer ist eigentlich nur ein Vorwand für mich, Sergeant Curtis aufzusuchen.
Offen gestanden bin ich gekommen, weil ich ihm gestern nicht die ganze Wahrheit gesagt habe.«
Paris kommentierte das nicht und lud mit ihrem Schweigen Toni Armstrong ein, deutlicher zu werden.
»Sergeant Curtis hat mich gefragt, ob Brad manchmal abends Radio hört. Ich sagte, ja, manchmal. Dann stellte er mir eine andere Frage, und das Thema wurde nicht wieder angesprochen. Weil dabei Ihr Name nicht fiel, habe ich ihm nicht von mir aus erzählt, dass wir â Brad und ich â Sie schon aus Houston kennen.«
Ihre Augen blickten sie flehend an, so als wollten sie Paris zwingen, sich zu erinnern, damit es Mrs Armstrong erspart blieb, ihr wieder ins Gedächtnis zu rufen, unter welchen Umständen sie sich kennen gelernt hatten.
»Entschuldigen Sie, Mrs Armstrong. Aber ich kann mich nicht entsinnen, dass ich Ihnen schon einmal begegnet wäre.«
»Wir beide sind uns nie persönlich begegnet. Sie waren Patientin bei Dr. Louis Baker.«
Plötzlich fiel es Paris wie Schuppen von den Augen. Wie war es möglich, dass sie den Namen nicht wiedererkannt hatte? Natürlich war Armstrong kein besonders ausgefallener Name. Und weder Curtis noch Dean hatten je erwähnt, dass der verdächtigte Brad Armstrong Zahnarzt war.
»Ihr Mann ist Zahnarzt? Dieser Zahnarzt?«
Toni Armstrong nickte.
Paris sog die Luft durch die Zähne ein. »Das tut mir Leid.«
»Sie brauchen sich wirklich nicht bei mir zu entschuldigen, Ms Gibson. Es war bestimmt nicht Ihre Schuld. Ich habe Ihnen nie einen Vorwurf gemacht. Sie haben getan, was Sie tun mussten. Natürlich hat Brad das anders gesehen. Er behauptete, Sie hätten ⦠Sie hätten mit ihm geflirtet und ihn verführt.« Sie lächelte melancholisch. »Das sagt er jedes Mal. Aber ich
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