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Rain Song

Rain Song

Titel: Rain Song
Autoren: Antje Babendererde
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leises Gelächter.
    Also doch, dachte er. Gleich wird es interessant.
    Der Strahl einer Taschenlampe streifte den Chief und er drückte sich noch tiefer in sein Versteck. Angestrengt versuchte er, die Stimmen zu unterscheiden. Gleich darauf kamen die nächtlichen Besucher dicht an ihm vorbei. Es waren zwei Pärchen, junge Leute aus Neah Bay. Hunter erkannte seinen Neffen Joey und dessen Kumpel Mike Sparks. Wer die Mädchen waren, wusste er nicht, er vermutete aber, dass eine davon Mikes Freundin Kate war, die Tochter von Helma Ward.
    Inständig hoffte er, dass die vier nichts mit dem zerstörten Geländer zu tun hatten. Dann würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als sie zu verhaften. Seinen eigenen Neffen. Welche Schande für die ganze Familie.
    Die Jugendlichen liefen hinunter zum Kap und jetzt, wo der Wald nicht mehr hinter und über ihnen war, wurden ihre Stimmen lauter.
    »Vorsicht am Geländer«, hörte Hunter seinen Neffen die anderen warnen.
    »Es ist fest«, sagte Mike. »Bist du sicher, dass die Deutsche hier runtergestürzt ist? Sieht so aus, als könnte man das nicht überleben.« Er leuchtete mit der Taschenlampe in die Tiefe.
    »Es war genau hier, das kannst du mir glauben. Der Holzschnitzer hat sie rausgefischt und behalten. Strandgut.«
    Die anderen kicherten.
    Joey, du alter Wichtigtuer. Hunter atmete auf. Er hatte genug gehört, um sicher zu sein, dass die vier nichts mit der Zerstörung des Geländers zu tun hatten. Aber was machten sie um diese Zeit hier draußen am Kap?
    »Und wo ist sie nun?«, fragte Kate.
    »Wenn du so herumschreist, wird sie nicht kommen«, erwiderte Joey.
    Auf wen, verdammt noch mal, wartet ihr?, fragte sich Hunter.
    »Lasst uns lieber verschwinden«, sagte die kleine Ward, »ich mach mir gleich in die Hosen.«
    Dann hörte Oren die Stimme des anderen Mädchens. »Granny hat gesagt, dass Tsonoqa nicht nur Unglück bringt. Wer ihr begegnet, kann auch zu Reichtum und Glück kommen.«
    Grace Allabush.
    Hunter hatte schon die ganze Zeit vermutet, dass Joey eine Freundin hatte. Aber Grace war noch jung, erst fünfzehn. Sollte sie nicht längst im Bett liegen? Und was faselten sie da von Tsonoqa, der Wilden Frau? Sie waren doch nicht etwa auf die Gerüchte hereingefallen, die in Neah Bay die Runde machten?
    Oren Hunter wurde ärgerlich. Die Jugendlichen würden ihm alles vermasseln. Die Jungen wollten den Mädchen imponieren, indem sie sie mit Geistergeschichten hierherlockten und ihnen dann Angst machten, in der Hoffnung, die Mädchen würden sich in ihre schützenden Arme flüchten.
    »Sie ist gefährlich«, sagte Kate. »Sie frisst kleine Kinder.«
    »Sind wir etwa kleine Kinder?«, spottete Mike.
    Und ob, dachte Hunter grimmig. Er überlegte, was er tun konnte, um die vier vom Kap zu vertreiben, als es plötzlich totenstill wurde. Irgendetwas hatte die Pärchen zum Schweigen gebracht. Ein Geräusch oder eine Bewegung im Dunkeln.
    Mike und Joey leuchteten mit ihren Taschenlampen das Gebüsch aus. Ein Strahl wurde immer schwächer und erstarb schließlich zu einem jämmerlichen Glimmen. »Scheiße«, fluchte Mike, »die Batterien sind alle.«
    »Na, toll«, stöhnte Joey.
    »Sie waren ganz neu«, verteidigte sich Mike.
    Schließlich hörte auch der Chief, was die Jugendlichen so nervös machte: ein leises Geräusch, es klang wie ein Meckern. Nein, es war ein Lachen, ein wahnsinniges Lachen, wie von einem Geist. Die vier verstummten erneut. Hunter versuchte herauszufinden, woher das Lachen kam. Es musste irgendwo links von ihm sein – oben, am Rand der Klippen. Aber auf dieser Seite war das Blattwerk seines Verstecks so dicht, dass er trotz der klaren Vollmondnacht nichts erkennen konnte.
    Das Geräusch von eiligen Schritten. Die vier verstummten Jugendlichen traten ganz offenbar die Flucht an. Ohne ein Wort hasteten sie an ihm vorbei, den Weg hinauf zum Parkplatz. Einen Augenblick amüsierte Hunter sich über die Feigheit der jungen Leute, konzentrierte sich aber sofort wieder auf das, was kommen würde.
    Flüsternde Stimmen. Jemand kam aus dem Wald oberhalb der Steilküste und kletterte über das Geländer. Er hörte das Trippeln von nackten Füßen auf Fels. Hunter unterschied die Silhouetten eines Mannes und einer Frau. Wie zu einer einzigen Person verschmolzen, standen sie an der Landspitze und ihre Körper rieben aneinander. Als der Polizeichef begriff, dass sie sich küssten, trieb es ihm Schweißperlen auf die Stirn.
    Waren jetzt alle um ihn herum verrückt geworden?
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