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Rain Song

Rain Song

Titel: Rain Song Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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suchen und eine Familie gründen können, um der allabendlichen Einsamkeit zu entgehen. Aber da ihn niemand drängte und er seine Freiheit und seinen Beruf liebte, hatte er es bisher nur in Erwägung gezogen und nicht in die Tat umgesetzt.
    Abgesehen davon gab es nur eine Frau, für die er seine Freiheit aufgeben würde: Tomita Waata, die jüngere Schwester von Annie Waata. Doch bevor Tomita heiraten konnte, musste erst einmal ihre Schwester verheiratet sein. So wollten es die alten Regeln. Doch offensichtlich war Greg Ahousat, der von Annies Vater als würdiger Ehemann für seine älteste Tochter auserkoren war, weit davon entfernt, Annie einen Antrag zu machen.
    Stattdessen fischte sich Greg lieber eine bleichgesichtige Frau aus dem Pazifik. Bill schnaubte kopfschüttelnd.
    Er löschte das Licht und schloss alle Türen sorgfältig ab. Dann fuhr er zum Clamshell Motel. Dort erfuhr er, dass vor etwa einer Stunde eine weiße Frau nach einem Zimmer gefragt hatte, jedoch alles belegt war.
    »Wo hast du sie hingeschickt, Adela?«, fragte er die junge Indianerin.
    Sie zuckte mit den Schultern. »Nirgendwohin. Sie ist wieder gegangen.«
    Bill kratzte sich am Kopf. Dann hatte sie Neah Bay also wieder verlassen. Auch gut.
    Als Bill später in seinem Bett lag und im Dunkeln an die Decke seines Schlafzimmers starrte, hatte er die Frau vergessen. In Gedanken spielte er das Gespräch mit Chief Hunter durch, das er spätestens am Montag mit ihm würde führen müssen. Denn Bill war mittlerweile fest davon überzeugt, dass all diese Ereignisse keine Zufälle waren. Jemand aus dem Ort versuchte, Fremden Schaden zuzufügen, damit sie fernblieben.
    Chief Hunter würde mit den Augen rollen und versuchen, ihn abzuwimmeln. Vermutlich würde er sagen, dass es die Rache der Geister war, die einfach keine Fremden in ihrem Areal duldeten.
    Und er hatte recht, Makah Land war das Land der Geister. Sie wohnten überall: im Meer, in den Wäldern und in den Bergen. Unter der Erde und unter den Menschen. Daran glaubte sogar Bill, trotz seiner fünf Jahre auf der Polizeischule in Seattle, wo man versucht hatte, ihm beizubringen, dass alles Böse den Hirnen der Menschen entsprang und dass es keine unsichtbaren Mächte gab.
    Aber die Manipulation des Geländers war mit Sicherheit kein Werk von unsichtbaren Mächten. Bill Lighthouse wusste, dass er nach jemandem suchen musste, der clever war und sich zudem gut mit der Beschaffenheit von Holz auskannte.
    Hanna schreckte auf, als jemand gegen die Scheibe der Fahrertür klopfte. Sie war eingeschlafen und im ersten Moment wusste sie nicht, wo sie überhaupt war. Mit fahrigen Bewegungen suchte sie nach dem richtigen Knopf und ließ die Scheibe herunter.
    »Fahr mir nach«, sagte Greg. »Es sind nur ein paar Straßenecken.«
    Hanna fuhr hinter Gregs Pick-up her, durch ein paar nass glänzende menschenleere Straßen. Er hielt vor einem schmucken Holzhaus am Waldrand und sie parkte den Chevy daneben. Im Scheinwerferlicht leuchtete der blaue Anstrich des Häuschens frisch und freundlich. Hinter zugezogenen Vorhängen brannte Licht. Sie stiegen aus und Hanna folgte Greg zur Tür.
    Er klopfte und nach einer Weile erschien eine kleine runzlige Frau mit einem ausgewaschenen blauen Tuch auf dem Kopf in der Tür. Hanna schätzte sie auf Ende siebzig oder Anfang achtzig. Ihr Gesicht war dunkel und von unzähligen tiefen Falten durchzogen, wie eine Walnuss. Als sie Greg im Dämmerdunkel erkannte, leuchteten ihre schwarzen Augen vor Freude auf.
    Die alte Dame sagte etwas in der Sprache der Makah und Greg antwortete ihr in seiner Muttersprache.
    Die Alte schob ihr Kopftuch aus der Stirn, nickte und sagte: »Na, komm schon rein, Chah-la-bush. Wen hast du denn da mitgebracht?«
    Greg zog Hanna ins Haus und stellte sie der alten Indianerin vor. In diesem Moment verschwand das Lächeln aus dem Gesicht der Frau und das Leuchten in ihren Augen erlosch.
    Ohne weitere Begrüßung führte sie ihre beiden Gäste durch den mit Wasserbottichen vollgestellten Flur in einen hell erleuchteten Wohnraum. Hanna roch den Zedernduft. Auf dem Boden und allen zur Verfügung stehenden Sitzmöbeln lag Flechtmaterial ausgebreitet: Raffiafasern, Sitca Sedge, das hellere Süßgras, Bärgras und ein paar Streifen vom weichen Bast der Zedernrinde.
    Ein junges Mädchen mit langem Zopf und Halbmondaugen, das an einem kleinen Korb arbeitete, stand auf und bot Hanna ihren Platz an.
    »Hallo Grace.« Greg räumte sich einen Stuhl frei und setzte sich

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