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Rain Song

Rain Song

Titel: Rain Song Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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ebenfalls. Er ließ seinen Blick schweigend auf dem Mädchen ruhen, als hätte er vergessen, warum er eigentlich hier war.
    Die alte Frau gab Grace ein Zeichen, worauf das Mädchen ihre Arbeit zur Seite legte und den Raum verließ.
    »Deine Urenkelin wird immer schöner, Gertrude«, bemerkte Greg anerkennend.
    »Ja«, grummelte die Indianerin, »die jungen Männer umschwärmen das Haus wie Motten das Licht. Aber«, aus schmalen Augenschlitzen heraus sah sie ihn an, »um mir das zu sagen, bist du doch nicht hergekommen.«
    »Nein.« Offensichtlich nervös, presste er seine Hände zusammen. »Ich bin hier, weil ich dich um den Schlüssel für deine alte Hütte am Strand bitten wollte. Es wäre nur für ein paar Tage und ich würde natürlich dafür bezahlen.«
    »Ist dein schickes Haus abgebrannt?«, fragte die Indianerin mit unbewegter Miene.
    »Nein. Hanna hat kein Zimmer bekommen im Motel und …«
    »Was geht dich das an?«, unterbrach ihn die Alte, ohne Hanna anzusehen. »Ist sie deine Freundin?«
    Greg schüttelte den Kopf. »Sie war die Frau von Jim, Gertrude. Hanna und er haben eine kleine Tochter. Jetzt ist sie hier, um nach ihm zu suchen.«
    Das Gesicht der Indianerin runzelte sich noch mehr zusammen. »Hier, in Neah Bay? Ich dachte, er ist bei ihr.«
    »Sie sagt, Jim wäre damals nach Neah Bay zurückgekehrt. Er wollte sie später nachholen, hat aber nie wieder etwas von sich hören lassen.«
    »Tja, dann hat er sich wohl in Luft aufgelöst.«
    »Gertrude, bitte.«
    Die grummelige Alte zuckte mit den Achseln. »Wenn Jim zurückgekommen wäre, wüsste ich es.«
    Hanna, der vor Schlafmangel ganz schlecht war, wurde zunehmend unbehaglicher zumute.
    Sie tun so, als wäre ich Luft.
    »Vielleicht ist Jim irgendwohin gegangen, wo niemand ihn vermutet«, sagte Greg. »Vielleicht versteckt er sich.«
    Das Mädchen kam mit einem Tablett zurück und bot jedem einen kleinen, mit Früchten belegten Kuchen an. Greg griff zu, und als er Hannas Zögern bemerkte, bedeutete er ihr, es ebenfalls zu tun.
    Hastig nahm sich Hanna ein Küchlein. Sie wollte die alte Indianerin nicht noch mehr verärgern, schließlich hatte sie die Höflichkeit besessen, sich an die Regeln der Gastfreundschaft zu halten. Das Mädchen suchte nach einem Platz, wo sie das Tablett mit den restlichen Küchlein absetzen konnte, und schob ein paar Raffiafasern auf dem Tisch zur Seite.
    »Salmonberry Cookies«, sagte Gertrude, »Grace hat sie gebacken.« Sie tätschelte den Arm ihrer Urenkelin. »Danke, du kannst für heute Schluss machen.«
    Obwohl ihre Urgroßmutter sie nicht hinausgeschickt hatte, verstand das Mädchen die Aufforderung. Sie verabschiedete sich höflich, obwohl sie vor Neugier ganz offensichtlich platzte, und verließ den Raum.
    Hanna biss in ihr Küchlein. Der Geschmack des noch warmen Gebäcks und der säuerlichen Beeren weckte ihre Lebensgeister und sie versuchte, ihre Gedanken zu sammeln.
    Auf einmal wandte die alte Frau den Kopf und sah sie mit stechendem Blick an. »Was wollen Sie von Jim Kachook?«, fragte sie.
    Verdattert darüber, plötzlich angesprochen zu werden, schluckte Hanna den Bissen, den sie im Mund hatte, ungekaut herunter. Also los, sagte sie sich, du hast nichts zu verlieren. Sie räusperte sich und holte tief Luft. »Ich bin nicht hier, um Forderungen an Jim zu stellen. Ich möchte nur wissen, was aus ihm geworden ist. Damit ich etwas habe, was ich seiner Tochter erzählen kann, wenn sie mich nach ihrem Vater fragt.«
    Im gleichen Moment, als Hanna ihre Worte gesprochen hatte, bezweifelte sie, dass sie das Herz der alten Frau in irgendeiner Weise anrühren würden. Aber das war ihr auch egal. Alles, was sie jetzt noch wollte, war ein Bett.
    Gertrude Allabush hörte die Worte der rothaarigen Fremden, aber sie wusste nicht, ob sie ihr trauen konnte. Der junge Holzschnitzer tat es ganz offensichtlich, aus welchen Gründen auch immer.
    Mit einem Ächzen erhob sie sich, ging zu der alten Kommode hinüber und holte aus einem Zedernholzkästchen den Schlüssel zum Strandhaus hervor.
    Vor Jahren, sie wusste nicht mehr, ob es zehn oder mehr waren, war Jim Kachook zu ihr gekommen und hatte sie um den Schlüssel für das kleine Haus am Strand gebeten. Er bräuchte Ruhe, um nachzudenken, hatte er gesagt. Natürlich war ihr klar gewesen, was er wirklich vorgehabt hatte. Leider war sie nie dahintergekommen, wer das Mädchen gewesen war, mit dem er sich damals heimlich getroffen hatte. Sie hatte ihn nie gefragt und er hatte nichts

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