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Rain Song

Rain Song

Titel: Rain Song Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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gesagt. Niemand in Neah Bay hatte Jim Kachook länger als eine Stunde mit ein- und derselben Frau zusammen gesehen. Es hieß, dass Frauen ihn nicht interessierten. Er wollte bloß schnitzen.
    Bis er von heute auf morgen mit einer Fremden fortging.
    Dieser Fremden.
    Es darf nicht passieren, dass sich alles wiederholt, dachte Gertrude voller Sorge. Es genügte, wenn sie Greg ansah, den Sohn ihrer Nichte, den sie besser kannte als er sich selbst. Vielleicht würde diese ferne bleiche Frau ihm wehtun, vielleicht war er ihr aber auch gewachsen – wer wusste das schon.
    Sie zögerte noch einen Moment, doch dann drückte sie Greg den Schlüssel in die Hand. Er nahm ihn entgegen und zog ein Bündel Dollarscheine aus der Tasche. Er zählte hundert Dollar ab und reichte Gertrude das Geld.
    Die alte Indianerin rollte die Scheine, legte sie in das Kästchen und sagte: »Die Tür klemmt ein bisschen, aber das weißt du ja.« Sie begleitete die beiden nach draußen und sah zu, wie sie in ihre Autos stiegen.
    Doch als Greg zum Abschied die Hand hob, erwiderte Gertrude den Gruß nicht. Sie schüttelte nur den Kopf. Das bedeutet nichts Gutes, dachte sie. Es konnte einfach nichts Gutes bedeuten, dass diese Frau wieder nach Neah Bay gekommen war.
    Das alte Haus, in dem Gertrude Allabush gelebt hatte, bevor sie zu ihrer Enkelin Celine – der Mutter von Grace – ins Dorf gezogen war, stand am Nordufer des Waatch River, dort, wo der Fluss in den Pazifik mündete und sich eine kleine Bucht gebildet hatte. Auf der gegenüberliegenden Seite konnte man die Lichter des Campingplatzes erkennen.
    Gertrudes Hütte war von außen windschief und mit der Patina ewiger Zeiten besetzt, aber Greg hatte sich über die Jahre Mühe gegeben, das kleine Haus bewohnbar zu erhalten.
    Er schloss die Tür auf, drückte sie mit der Schulter nach innen und schaltete das Licht an. Das Haus bestand aus einem größeren Wohnraum mit Küchenzeile, einer Schlafkammer und einem kleinen Badezimmer. Der Wohnraum hatte einen Kamin, neben dem ein durchgesessenes Sofa und ein Sessel standen. Im Holzregal an der Wand lagen ein paar zerlesene Bücher und verschiedenes Strandgut. Einziger Schmuck des Raumes waren verschieden große Körbe, die im Regal oder auf dem Boden standen.
    Ein stabiler Holztisch mit vier Stühlen stand nahe der Küchenzeile, die aus einem gusseisernen Herd, einer Spüle mit Arbeitsplatte und einem uralten Kühlschrank bestand. Als Greg den Stecker in die Dose schob, begann er laut zu brummen.
    Hanna öffnete die Türen des zerschrammten Küchenschranks, in dem sie sämtliche Utensilien fand, die man zum Kochen brauchte. Greg zauberte einen Elektrokocher mit zwei Platten unter einem Baumwolltuch hervor. »Wenn du ein Menü kochen willst, musst du allerdings den Holzherd anfeuern.«
    Er führte Hanna in den Schlafraum, der fast ganz von einer einfachen Kommode und zwei zusammengeschobenen Betten ausgefüllt wurde. Hanna öffnete das Fenster und frische Salzluft kam herein.
    »Bettwäsche ist in der Kommode«, sagte Greg. »Komm, ich zeige dir noch das Bad.«
    Im winzigen Bad mit Toilette und Duschkabine drückte er den Stecker vom Boiler in die Steckdose. »Es ist nicht ganz so komfortabel wie in Helmas Motel, aber du hast warmes Wasser zum Duschen.«
    »Danke.« Hanna gähnte und strich sich über ihre sommersprossige Stirn. »Danke, Greg.«
    Sie lächelte, sah aber erschöpft und mitgenommen aus.
    »Gern geschehen«, sagte er verlegen.
    Als sie in ihrem Lederrucksack kramte und ihm hundert Dollar reichte, wollte er das Geld nicht nehmen. Aber sie bestand darauf und er steckte die Scheine ein.
    »Ich fahre dann mal«, sagte er, »du bist sicher hundemüde. Wenn du Lust hast, komm morgen früh zum Frühstück zu mir, so gegen neun. Ist das okay?«
    Hanna nickte und unterdrückte ein Gähnen. Er ging und zog die Tür hinter sich zu.
    Als Greg einen Moment später in seinem Auto saß und den Motor anließ, fragte er sich, was der Grund dafür war, dass er Hanna zum Frühstück eingeladen hatte. War es der leere Kühlschrank gewesen oder der violette Schimmer in ihren traurigen Augen?
    Der Wind fuhr durch die dunklen Bäume und wehte Nadeln und Regentropfen auf die Frontscheibe seines Pick-ups. Zu Hause angekommen, zog Greg seine Regenjacke und die Gummistiefel an und ging hinunter zum Strand. Noch war genügend Zeit, bevor die Flut stieg.
    Greg brauchte das Meer, um nachdenken zu können. Diese ehrwürdige, uralte Macht hatte ihm jeher Antworten auf

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