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Rain Song

Rain Song

Titel: Rain Song Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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bin.«
    »Wegen der alten Regeln?«
    »Irgendwie schon. Unsere alten Traditionen mögen dir vielleicht überholt vorkommen, aber sie halten unser kleines Volk zusammen und verhindern, dass wir in dieser Zeit verrückt werden. Ich kann das nicht einfach so zur Seite schieben. Ich lebe hier, Hanna.«
    »Aber du hast gesagt, du bist nicht wie sie.«
    Greg stöhnte leise. »Das ist wahr. Aber ich kann auch nicht so sein wie du.«
    »Wie bin ich denn?«
    »Keine Ahnung«, er lehnte sich zurück, »einfach anders. Ich bin ein Makah, Hanna, ein Ureinwohner . Wir Indianer sind das Gewissen der Nation. Und jeder – ob nun meine eigenen Leute oder all die Fremden – erwartet von mir, dass ich mich auch so verhalte.«
    »Aber das musst du nicht.«
    »Vielleicht nicht«, erwiderte Greg. »Aber selbst du willst es so.«
    Hanna öffnete den Mund, um zu protestieren, aber dann schluckte sie nur. »Wir haben nichts gemeinsam, nicht wahr?«
    Er stand auf und begann, das Geschirr in die Spülmaschine zu räumen. »Doch, Hanna, es gibt etwas, das wir gemeinsam haben.«
    »Was, Greg?«
    »Das weißt du nicht?«
    Fragend sah sie ihn an.
    »Es ist Jim, Hanna.«
    Draußen, hinter dem Sooes Beach, schien die Dunkelheit lebendig zu werden. Die schweren Zweige der Hemlocktannen schaukelten im Wind wie Gespenster, die einander die Hände reichten zum nächtlichen Tanz. Der Pazifik strömte in gleichmäßigen Wellen gegen das Ufer. Auch drinnen im Haus schien die hereinbrechende Dunkelheit die Wirklichkeit zurückzudrängen. Die Stehlampe und ein Kaminfeuer verbreiteten warmes Licht im Raum.
    Greg stand am Fenster und blickte in die Dämmerung der Sommernacht. Hanna saß mit angezogenen Knien in einem der Ledersessel vor dem Kamin und trank noch ein Glas von dem herben kalifornischen Wein, den sie zum Essen getrunken hatten. Sie fühlte sich auf wunderbare Weise erschöpft und zum ersten Mal war die Ruhelosigkeit, die sie in den letzten Jahren nie richtig losgelassen hatte, von ihr abgefallen.
    Sie betrachtete Gregs Spiegelbild im Fenster und wusste, sie konnte ihm vertrauen.
    »Ich glaube«, sagte Hanna leise, »dass Jim vor etwas davongelaufen ist, als er mit mir nach Deutschland kam.« Sie erinnerte sich an Nächte, in denen er stundenlang wach gelegen und Löcher in die Decke gestarrt hatte. Es war, als hätte Jim ein furchtbares Geheimnis mit sich herumgetragen, einen Schatten, der seine Seele verdunkelte.
    »Wovor sollte er davongelaufen sein?«
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte Hanna. »Vielleicht war es etwas, das mit seiner Vergangenheit zu tun hatte.«
    »Mit seiner Vergangenheit?«, fragte Greg und wandte sich um. »Wie kommst du denn darauf?«
    »Weil er so ein Geheimnis darum machte. Er wich mir ständig aus, wenn ich ihn nach seiner Kindheit fragte oder nach seinem Leben in Neah Bay. Auf meine Fragen gab er immer nur halbe Antworten, das ist mir jetzt klar geworden.« Hanna seufzte. »Möglicherweise ist Jim mit mir nach Deutschland geflogen, weil er sich dort Anerkennung von Menschen erhofft hat, die keine Vorurteile hatten. Bis er dahinterkam, dass es denjenigen, die ihm bei der Arbeit zusahen, egal war, ob er ein Cheyenne, ein Hopi oder ein Makah war. Hauptsache, er war Indianer.
    Und er war es leid, den Kindern die Frage zu beantworten, auf welche Art seine Vorfahren ihre Feinde an solch einem Marterpfahl töteten, wie er gerade einen schnitzte.«
    Hanna trank einen Schluck von ihrem Wein. Greg kniete sich vor den Kamin und legte neue Scheite in die Flammen, die hell aufloderten. Das Feuer knisterte.
    »Ich war ein Idiot«, sagte er. »Ich hätte wissen müssen, dass er unglücklich sein würde, so weit weg von seinem Zuhause. Ich hätte viel eher nach ihm suchen müssen.«
    Hanna rutschte nach vorn an die Sesselkante. »Du warst doch davon überzeugt, dass er in Deutschland war – bei mir.«
    »Dann hätte ich ihn eben dort suchen müssen. Aber ich fühlte mich zu verletzt, als dass ich auf diese Idee gekommen wäre.«
    Sie wusste, was er meinte. Und es tat ihr gut, dass er jetzt so offen mit ihr sprach. Hanna hatte das Gefühl, dass die letzten Stunden sie einander nähergebracht hatten.
    »Er hat uns beide verletzt. Wahrscheinlich war ihm das gar nicht bewusst.«
    Greg stand auf, beugte sich zu ihr herunter und nahm ihr das Weinglas aus der Hand. In seinem Blick lag Zuneigung, etwas, das unerwartet kam und alles veränderte. Ihr Herz schlug schneller und sie fühlte sich hilflos ihren widersprüchlichen Gefühlen

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