Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
verlangen, dass er immer mitbekam, was in ihr vorging. Mehr als einmal hatte er sie freundlich darauf aufmerksam gemacht, dass sie seine Worte immer so negativ wie möglich auffasste, sobald sie auch nur die leiseste Meinungsverschiedenheit hatten. Mehr als einmal hatte er seiner Verwunderung Ausdruck verliehen, dass sie ihm manchmal übel nahm, dass er sie beschützte.
Das Kind in ihr stampfte jedoch mit dem Fuß auf und knirschte mit den Zähnen. Und deiner Frage ist er auch ausgewichen. Verlange eine Antwort. Nein. Erkläre ihm einfach, dass du gehst. Das ist dein gutes Recht. Sag ihm das einfach.
Hest ging schon wieder zur Tür. Bei einem Tabakhumidor blieb er stehen, öffnete ihn und sah stirnrunzelnd hinein. Offenbar hatten die Diener ihn noch nicht wieder aufgefüllt, seit er zurückgekommen war.
»Ich habe die Reise in die Regenwildnis bereits geplant. Ich breche Ende des Monats auf.« Die Worte kamen einfach so heraus. Lügen, jedes Einzelne von ihnen. Sie hatte keinerlei konkrete Pläne gemacht, lediglich geträumt.
Er wandte sich zu ihr um. Überrascht hob er die Augenbrauen. »In der Tat.«
»Ja«, beteuerte sie. »Das ist ein guter Zeitpunkt, um in die Regenwildnis zu reisen, habe ich gehört.«
»Alleine?«, fragte er empört. Als er kurz darauf weitersprach, klang er regelrecht zornig: »Ich bin selbst einige Verpflichtungen eingegangen, meine Liebe. Die kann ich unmöglich absagen. Am Ende des Monats kann ich dich nicht begleiten.«
»Darüber habe ich mir gar keine Gedanken gemacht«, gab sie zu. Ich habe mir über nichts Gedanken gemacht. »Bestimmt finde ich einen passenden Reisegefährten.« Dessen war sie sich nicht sicher. Ihr war nie in den Sinn gekommen, dass sie eine Begleitung benötigte. Irgendwie hatte sie geglaubt, dass sie als verheiratete Frau keine Anstandsdame mehr nötig hatte. »Du wirst ja wohl kaum meine Treue in Zweifel ziehen«, sagte sie. »Während der Monate, die du auf Geschäftsreisen bist, habe ich auch keine Aufpasserin. Wieso sollte ich eine haben, wenn ich verreise?«
»Vielleicht sollten wir nicht über ›Zweifel‹ an der ›Treue‹ des anderen sprechen«, warf er schneidend ein. »Oder nur, insofern es um ein angemessenes Auftreten geht. Immerhin braucht es nicht viel, um einige winzige ›Beweise‹ zusammenzutragen und ein Vergehen zu sehen, wo keines ist.«
Sie sah weg. Selten ließ er eine Gelegenheit aus, sie an ihre unbegründeten Anschuldigungen zu erinnern. Sie verdrängte die bittere Erinnerung an diesen erniedrigenden Tag und überlegte angestrengt, welche Haushälterin unbescholten genug war, um als Anstandsdame mit ihr zu reisen. »Wahrscheinlich hätte ich Sedrics Schwester Sophie fragen können. Aber man hat mir erzählt, dass sie schwanger und gesundheitlich etwas angeschlagen ist, sodass sie weder Besuche machen noch verreisen kann.«
»Ah. Wie ich sehe, ist ihr Gatte in dieser Beziehung weitaus glücklicher als ich. Und wie steht es um deine Gesundheit, Alise?«
»Mir geht es bestens«, gab sie spitz zurück.
Enttäuscht schüttelte Hest den Kopf. Er räusperte sich und fragte mit ironischem Unterton: »Dann muss ich davon ausgehen, dass unsere letzten Bemühungen nichts gefruchtet haben?«
»Ich bin nicht schwanger«, beschied sie ihm unverblümt. »Wenn ich schwanger wäre, wäre dies die erste Neuigkeit, die du erfahren würdest, das versichere ich dir.« Beinahe hätte sie ihn gefragt, wie sie seiner Meinung nach denn schwanger werden sollte. Er war drei Monate weg gewesen, und in den zwei Monaten vor seiner Abreise hatte er genau zweimal ihr Schlafzimmer aufgesucht. Dass er so selten mit ihr schlief und nie lange dafür brauchte, war für sie weniger eine Enttäuschung als eine Erleichterung. Ihr kam es so vor, als besuche er sie mit der Regelmäßigkeit und dem Eifer eines Mannes, der seinen Terminkalender abarbeitet. Manchmal fragte sie sich sogar, ob er über ihren Beischlaf Buch führte. Sie stellte sich vor, was er darin eintrug: Schwängerungsversuch, noch immer mit zweifelhaftem Ergebnis. Wenn sie sich heute an ihre kurze und kindische Verliebtheit vor der Hochzeit erinnerte, schämte sie sich.
In den Monaten und Jahren seither war klar geworden, dass weder Lust noch Liebe Platz in ihrer Ehe hatten. Auf ihrer Suche nach Wissen hatte sie sich nie etwas versagt. Als Gegenleistung hatte sie sich Hest nie verweigert, wenn er in ihr Schlafzimmer kam, um seinen ehelichen Pflichten nachzugehen. Nie hatte sie wegen seines Mangels
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