Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
an romantischen Gefühlen geweint, noch hatte sie versucht, ihn zu einem Sinneswandel zu verleiten. Sie hatte lediglich zwei gescheiterte und beschämende Versuche unternommen, in ihm ein sexuelles Interesse an ihr zu wecken. Doch sie verbat sich, zu lange an diese erniedrigenden Momente zurückzudenken. Sie hatte derart grausamen Hohn dafür geerntet, dass sich diese beiden Nächte in ihr Gedächtnis eingebrannt hatten. Nein. Besser war es, Hests nächtliche Besuche zu ertragen, besser noch zu ignorieren, denn dann blieb sein Tun kurz und nachlässig.
Nach jedem Besuch wartete er, bis sie ihm meldete, dass es ein Fehlschlag war. Erst dann suchte er sie wieder auf. Nur zweimal in all den Jahren ihrer Ehe hatte sie verkündet, dass sie schwanger war. Jedes Mal hatte Hest mit großer Begeisterung darauf reagiert, nur um nachher umso wütender und ungehaltener zu sein, als sie nach einigen Monaten eine Fehlgeburt hatte.
Jetzt bedachte Hest ihre platte Aussage, die seine Hoffnungen erneut zunichtemachte, mit einem leisen Seufzer. »Dann müssen wir es noch einmal probieren.«
Im Stillen wog sie die Waffe ab, die er ihr gerade in die Hand gedrückt hatte. Dann stach sie kaltblütig damit zu: »Vielleicht, wenn ich aus der Regenwildnis zurückkehre. Sich schwanger auf eine solche Reise zu begeben, könnte eine gesunde Geburt gefährden. Deshalb denke ich, dass wir mit einem weiteren Versuch bis nach meiner Rückkehr warten sollten.«
Sie sah, wie ihr Opfer zuckte. Mit kräftigerer, von Entrüstung erfüllter Stimme entgegnete er: »Glaubst du nicht, dass es wichtiger wäre, einen Sohn und Erben hervorzubringen, als sich auf diese verrückte Reise zu begeben?«
»Ich bin mir nicht sicher, ob du das selbst glaubst, lieber Hest. Gewiss würdest du doch, wenn dir so sehr daran gelegen wäre, häufigere Versuche in dieser Hinsicht unternehmen. Und womöglich auf einige deiner eigenen Reisen und nächtlichen Verabredungen verzichten.«
Er ballte die Fäuste und wandte sich von ihr ab, um aus dem Fenster zu starren. »Ich bemühe mich lediglich, deine Gefühle zu schonen. Mir ist bewusst, dass wohlerzogene Frauen die Bedürfnisse eines Mannes nicht bereitwillig über sich ergehen lassen.«
»Mein lieber Gatte, willst du damit sagen, dass ich nicht ›wohlerzogen‹ bin? Denn ich würde dir zustimmen. Manche Frauen aus meinem Bekanntenkreis würden mich als ›unerzogen‹ bezeichnen, wenn sie Einzelheiten über unser Privatleben erführen.« Ihr Herz pochte wild in ihrer Brust. Nie zuvor hatte sie es gewagt, so spitz mit ihm zu reden. Nie zuvor hatte sie etwas geäußert, was man als Kritik an seinen ehelichen Anstrengungen verstehen konnte.
Als Reaktion auf diese Spitze drehte er sich wieder zu ihr. Da er das Tageslicht im Rücken hatte, lagen seine Züge im Schatten. Sie versuchte, seinen Tonfall zu interpretieren. »Das würdest du nicht tun.« Eine Bitte? Eine Drohung?
Zeit für einen weiteren Zug. Plötzlich hatte sie das Gefühl, dass sie alles riskieren oder sich endgültig mit ihrer Niederlage abfinden musste. Sie lächelte ihn an und sprach in ruhigem, beiläufigem Tonfall: »Das ließe sich am besten vermeiden, wenn ich mich nicht in meinen üblichen Kreisen bewegen würde. Wenn ich zum Beispiel zu einer Reise in die Regenwildnis aufbrechen würde, um die Drachen zu beobachten.«
Es hatte im Laufe ihrer Ehe bereits einige Momente gegeben, wo sie sich in dieser Weise duelliert hatten, aber es war nicht häufig passiert. Und noch viel seltener war sie als Siegerin daraus hervorgegangen. Einmal hatten sie über eine besonders teure Schriftrolle gestritten, die sie gekauft hatte. Sie hatte angeboten, sie zurückzugeben und den Verkäufer wissen zu lassen, dass ihr Mann sie sich nicht leisten konnte. Damals hatte sie dasselbe erlebt wie jetzt: Dass er innegehalten, nachgerechnet, sein Bild von ihr korrigiert und seine Möglichkeiten überdacht hatte. Er hielt den Kopf schräg, während er über ihre Worte grübelte, und auf einmal wünschte sie sich, dass sie sein Gesicht besser sehen konnte. Wusste er, wie unsicher sie sich gerade fühlte? Erkannte er die furchtsame Frau, die sich hinter dem kühnen Bluff versteckte?
»Unser Ehevertrag besagt eindeutig, dass du bei meinen Anstrengungen, einen Erben hervorzubringen, mitzuwirken hast.«
Glaubte er, sie wäre im Nachteil? Glaubte er, ihr Gedächtnis wäre schlechter als das seine? Welch törichter Mann! Die Wut machte sie noch dreister. »War es tatsächlich so
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