Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
um die Drei-Schiffe-Familie kennenzulernen und zu erfahren, ob die Verbindung gutzuheißen ist. Bitte setzt Reyall davon nicht in Kenntnis. Sein Vater wünscht, ihn bei der Arbeit zu erleben, ohne dass er sich eines Besuchs bewusst ist. Nochmals meinen Dank für die Königstauben.
Detozi
7 · Versprechen und Drohungen
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Versprechen und Drohungen
W eil ich gehen will.« Sie sprach jedes Wort deutlich und mit Nachdruck aus. »Weil du mir vor fünf Jahren versprochen hast, dass ich gehen könnte. Das Versprechen hast du mir sogar am selben Tag gegeben, an dem du mir diese Schriftrolle geschenkt hast.« Alise beugte sich über ihren riesigen Schreibtisch und klopfte gegen den mit Seide ausgekleideten und einer Glasplatte abgedeckten Rosenholzkasten, in dem sie die Rolle aufbewahrte. Sie nahm sie so selten wie möglich in die Hand. Ihren Inhalt zu transkribieren war eine mühsame Arbeit gewesen, und wenn sie noch einmal etwas nachlesen musste, griff sie auf die Kopie zurück, die sie von dem kostbaren Werk angefertigt hatte.
»Ich bin kaum von meiner Reise heimgekehrt, meine Liebe. Kann ich nicht erst ein paar Tage darüber nachdenken? Um ehrlich zu sein, hatte ich vergessen, dass ich dir eine solche Expedition versprochen habe. Die Regenwildnis!« Er klang erstaunt.
Seine Worte entsprachen nicht ganz den Tatsachen. Er war bereits gestern Nachmittag von seiner letzten Handelsreise nach Chalced zurückgekehrt. Doch im Verlauf ihrer Ehejahre hatte Alise gelernt, dass Hests Rückkunft nach Bingtown nicht zwangsweise auch seine Heimkehr ins eheliche Heim bedeuten musste. Wie er ihr oft genug erklärt hatte, gab es im Handelshafen viele Dinge zu erledigen, Händler zu treffen, die man unverzüglich über jüngst erworbene Waren informieren musste, und meist fand der Verkauf dieser Güter bereits Stunden nach der Einfahrt in den Hafen statt. Solche Geschäfte machten den ein oder anderen Schluck Wein, teure Abendessen und nächtliche Unterredungen erforderlich, die in Bingtown den Handel erleichterten. Alise hatte gestern durch das Eintreffen von Hests Reisekoffer erfahren, dass er wieder zurück in der Stadt war, doch nachdem sowohl das Mittag- als auch das Abendessen verstrichen waren, ohne dass er erschienen war, hatte sie sich nicht die Mühe gemacht, wach zu bleiben. Gestern war ihr fünfter Hochzeitstag gewesen. Sie fragte sich, ob er mit demselben Bedauern an ihre Hochzeit zurückdachte wie sie, doch hatte sie laut aufgelacht. Es war unwahrscheinlich, dass sich Hest überhaupt an ihre Hochzeit erinnerte. Am Abend hatte sie wie üblich zu später Stunde ihr Bett aufgesucht, und da sie in getrennten Zimmern schliefen, wenn er sie nicht gerade zu besuchen geruhte, hatte sie nicht gemerkt, dass er heimgekommen war. Beim Frühstück gab es zwei Hinweise, dass der Herr des Hauses anwesend sein musste: Auf einem Beistelltisch entdeckte sie seine Lieblingsknoblauchwürste, und neben ihrem bevorzugten Kaffee stand auf dem silbernen Tablett eine große Kanne Tee. Von Hest selbst fehlte allerdings jede Spur.
Am späten Vormittag hatte Sedric, sein Sekretär, sie in ihrem Arbeitszimmer aufgesucht, um zu fragen, ob noch wichtige Gesellschaften bevorstünden und ob während der Abwesenheit des Hausherrn irgendwelche anderen wichtigen Briefe gekommen seien. Auch wenn Sedric sehr formell gesprochen hatte, hatte er doch gelächelt, und nach kurzer Zeit brachten sein zuvorkommendes Wesen und sein Charme sie dazu, diese Freundlichkeit zu erwidern. So verdrossen sie über Hest war, würde sie ihren Ärger doch nicht an seinem Sekretär auslassen. Sedric hatte auf die meisten Leute diese Wirkung. Obwohl er nur wenige Jahre jünger als Hest und älter als Alise war, konnte sie nicht umhin, noch immer einen Jungen in ihm zu sehen. Das lag nicht zuletzt daran, dass sie ihn kannte, seit sie als Kind mit seiner Schwester Sophie befreundet gewesen war. Obwohl er älter als die beiden Mädchen gewesen war, hatten sie ihn immer als den Jüngeren behandelt, denn diesen Eindruck hatte er stets auf Alise gemacht. Er hatte eine Sanftheit an sich, die sie bei keinem anderen Mann erlebt hatte. Jederzeit war er bereit gewesen, sein eigenes Tun zu unterbrechen und ihren mädchenhaften Problemen zu lauschen. Von einem älteren Jungen solche Aufmerksamkeit zu erhalten, war schmeichelhaft gewesen.
Noch immer war er ihr sehr lieb, wenn sie recht darüber nachdachte. Wenn sie sich bei Tisch unterhielten, milderten sein Interesse und seine Aufmerksamkeit
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