Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
»Und um meinen Vorschuss nach Hause zu tragen. Wo wir hingehen, wird mir Geld nichts nützen, und meine Mutter ist schwer krank. Damit kann sie sich vielleicht die Arznei kaufen, die sie braucht.« Aus den Worten des Mädchens klang unbefangener Stolz. Thymara nickte. Der Gedanke, dass Sylve und sie die einzigen Frauen waren, beunruhigte sie ein wenig. Doch sie verbarg ihre Gefühle unter einem Grinsen und sagte: »Na, immerhin haben wir uns beide, falls uns nach einer intelligenten Unterhaltung ist!«
»He!«, wehrte sich Tats, während Rapskal sie anglotzte und meinte: »Was? Das versteh ich nicht.«
»Nichts zu verstehen«, versicherte sie ihm, worauf sie zu Sylve gewandt die Augen verdrehte. Da grinste das Mädchen.
Plötzlich sprang sie auf die Beine. »Schaut! Sie kommen, um uns zu den Drachen zu bringen.«
Thymara erhob sich gemächlicher. Der Rucksack, den sie von zu Hause mitgebracht hatte, hing bereits über ihren Schultern, und nun warf sie sich auch noch die Vorratstasche über. »Tja, dann müssen wir wohl gehen«, sagte sie leise. Unwillkürlich blickte sie am Stamm nach oben zum Blätterdach, wo ihr Zuhause war. Zu ihrer Überraschung entdeckte sie ihren Vater, der auf einer der breiten Treppen, die sich um den Stamm wanden, ausgeharrt hatte und ihr nachsah. Sie winkte ihm ein letztes Mal zu und scheuchte ihn mit einer Handbewegung weg.
Tats war ihrem Blick gefolgt. Er winkte ebenfalls, allerdings ungestüm, und auf dieselbe Weise rief er hinauf: »Mach dir keine Sorgen, Jerup! Ich passe auf sie auf!«
» Du passt auf mich auf?«, spottete sie, und zwar so laut, dass es vielleicht auch ihr Vater noch hören konnte. Dann wandte sie sich mit einem letzten Winken um und lief den anderen hinterher. Die Gruppe ging in Richtung Flusshafen, wo Boote lagen, die sie flussaufwärts nach Cassarick und zu den Reifegründen der Drachen tragen würden.
»Irgendetwas stimmt nicht mit ihm.«
Leftrin kratzte sich die Wange. Er musste sich dringend rasieren, doch in letzter Zeit waren ihm zunehmend Schuppen auf Wangen und Kinn gewachsen. Mit den Schuppen konnte er leben, wenn sie schnell einwuchsen. Barthaare dagegen störten ihn. Allerdings zog man sich viele kleine, gemeine Schnitte zu, wenn man sich neben den Schuppen rasieren wollte.
»Er ist nicht mehr derselbe.«
Die beiden, rasch aufeinanderfolgenden Bemerkungen waren für Swarges Verhältnisse schon fast eine Ansprache. Leftrin zuckte mit den Schultern. »Es ist normal, dass er sich verändert. Das war uns klar, als wir uns darauf eingelassen haben. Er wusste es und war damit einverstanden. Er hat es so gewollt.«
»Bist du dir da sicher?«
»Klar bin ich mir sicher. Teermann ist mein Schiff, das Lebensschiff meiner Familie. Da gibt es eine Verbindung, Swarge. Ich weiß, was er will.«
»Ich bin schon fast fünfzehn Jahre an Bord. Von daher kenne ich ihn auch sehr gut. Er scheint, nun ja, unruhig zu sein. Als warte er auf etwas.«
»Ich glaube, ich weiß, was los ist.« Leftrin starrte auf das Kielwasser. Über ihnen öffnete sich ein breiter mit Sternen besetzter Streifen Nachthimmel. Zu beiden Seiten des Regenwildflusses beugten sich die Bäume neugierig vor. Es war eine friedvolle Zeit. Vom Ufer drangen die üblichen nächtlichen Geräusche der Tiere und Vögel herüber. Wasser plätscherte gegen den Rumpf Teermanns , während der Kahn ruhig stromaufwärts fuhr. Aus dem Deckshaus drang gelbes Laternenlicht. Die Mannschaft saß gerade beim Abendessen. Das Klappern des Geschirrs, undeutliche Unterhaltungen und der Geruch von frischem Kaffee drangen zu ihnen heraus. Bellin sagte etwas, worauf Skelly lachte, ein warmer, sanfter Laut in der Nacht. Das Lachen des großen Eiders lag als tiefer Basston unter der allgemeinen Fröhlichkeit.
Langsam fuhr Leftrin mit der Hand über Teermanns Reling. Dann nickte er seinem Steuermann zu. »Mit ihm ist alles gut. Er wusste, dass es Veränderungen geben würde.«
»Ich habe in letzter Zeit Träume.«
Leftrin nickte. »Ich auch.«
Langsam breitete sich ein Lächeln über das Gesicht des Steuermanns. »Wünschte mir, ich könnte fliegen.«
»Den Wunsch hat er auch«, sagte Leftrin. »Den haben wir alle.«
»Wieso musstest du ausgerechnet auf diesem Schiff eine Passage kaufen?«, fragte Sedric unvermittelt.
Alise sah ihn erstaunt an. Sie standen zusammen auf Deck, gegen die Reling gelehnt, und schauten zu, wie die riesigen Regenwildbäume in einer unendlichen Parade an ihnen vorüberzogen. Manche uralten
Weitere Kostenlose Bücher