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Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter

Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter

Titel: Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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sie sich noch nicht gewachsen. Beherzt legte sie die Hand auf Leftrins Arm und sagte: »Es wäre mir ein Vergnügen, Cassarick anzusehen.«
    Also hatte er ihr die »Stadt« gezeigt, auch wenn Cassarick diese Bezeichnung kaum verdiente. Es war ein lebhafter Ort, noch immer im Wachsen begriffen und etwas roh. Im Rückblick war ihr klar, dass Kapitän Leftrin absichtlich die abenteuerlichste Route ausgesucht hatte. Sie begann mit einer schwindelerregenden Fahrt hinauf in einem Korbaufzug. Nachdem sie eingestiegen waren, wurde die dünne Tür geschlossen. Dann hatte Leftrin an einer Kordel gezogen, und von ganz weit oben hatte man das Läuten einer Glocke gehört. »Jetzt müssen wir auf die Gegengewichte warten«, hatte er ihr erklärt. Mit vor Aufregung hämmerndem Herz stand sie in dem Korb und wartete. Nach einer Weile gab es einen Ruck, und dann glitt der Korb langsam und stetig in die Höhe. Die Kabine war aus leichtem, aber robustem Material gebaut und so eng, dass sie sich beinahe berührten. Obwohl Alise über den Rand des Korbs hinausschaute, war sie sich Leftrins kräftigem Körper in ihrem Rücken dennoch bewusst. Auf halber Höhe begegneten sie dem Aufzugswärter, der in einem anderen Korb nach unten fuhr. Er stand inmitten von aufgehäuften Ballaststeinen, und mit einer Vorrichtung, die Alise nicht sehen konnte, hielt er die Körbe an, als sie auf gleicher Höhe waren, sodass Leftrin die Gebühr entrichten konnte. Als der Mann bezahlt war, sank er weiter nach unten, während sie nach oben stiegen. Die Aussicht war atemberaubend. Es ging an breiten Ästen vorbei, auf denen Fußwege verliefen, an Häuserreihen, die wie Lampions an Zweigen hingen, an wackligen Brücken. Lastkörbe schwebten durch die Luft, getragen von Seilzügen, die Alise an Wäscheleinen erinnerten. Als sie schließlich oben ankamen und der Aufzuggehilfe ihren Korb anhielt, waren sie so hoch in den Bäumen, dass sogar vereinzelte Sonnenstrahlen durch das dichte Blätterdach bis zu ihnen herabdrangen. Der Gehilfe öffnete die Tür, und Alise trat auf einen schmalen Balkon, der an einem dicken Ast angebracht war. Keuchend sah sie in die Tiefe und stieß ein Kreischen aus, als Leftrin sie am Arm fasste. »So wird Euch bestimmt schwindelig, schließlich seid ihr zum ersten Mal so weit oben im Baum«, warnte er. Über einen schmalen Pfad führte er sie auf dem Ast entlang in Richtung Stamm.
    Sie legte beide Hände auf die Borke des Stamms, versuchte aber, es nicht so aussehen zu lassen, als halte sie sich fest. Am liebsten hätte sie den Stamm umschlungen, doch das war genauso unmöglich, als wollte sie eine Wand umarmen. Die Flora und das Blattwerk der Regenwildnis hatten derart gigantische Ausmaße, dass man von ihnen kaum mehr als Pflanzen sprechen konnte, sondern sie als Bestandteile einer Landschaft bezeichnen musste. Alise rechnete es Leftrin hoch an, dass er kein Wort sagte, während sie verschnaufte und wieder Haltung gewann. Als sie sich ihm wieder zuwandte, lächelte er sie freundlich, aber nicht spöttisch an und sagte: »Wenn ich mich recht erinnere, ist in diese Richtung eine nette kleine Stube, in der man Tee und Kuchen bekommt.«
    Über einen sicheren Brettersteg führte er sie um den Stamm herum. Inzwischen war die Stadt belebter, und auch wenn sich auf den Wegen nicht so viele Menschen drängten wie am Markttag in Bingtown, war dennoch einiges los. Während Alise die Menschen bei ihren täglichen Erledigungen beobachtete, wandelte sich allmählich das Bild, das sie von ihnen hatte. Und als sie die Teestube erreichten und ein kleines Mahl bestellten, empfand sie die Schuppengesichter und fremdartigen Kleider der Regenwildleute fast schon als normal. Sie unterhielten sich, lachten und aßen, und Alise vergaß, wer sie war und wo sie sich befand.
    Kapitän Leftrin war ein derber Mensch, geradezu ungehobelt. Schön war er nicht, noch sonderlich gepflegt oder gebildet. Es kümmerte ihn nicht, wenn ihm der Tee in die Untertasse schwappte, und wenn er lachte, warf er den Kopf zurück und wieherte los, dass alle anderen Gäste zu ihm herüberschauten. Alise war das peinlich. Doch in seiner Gesellschaft fühlte sie sich so sehr als Frau wie schon seit Jahren nicht mehr, wie vielleicht noch nie zuvor in ihrem Leben. Und damit wurde ihr bewusst, dass sie gehandelt hatte, als wäre sie unverheiratet und als müsse sie nur sich selbst gegenüber Rechenschaft ablegen. Bei diesem Gedanken stockte ihr vor Schreck der Atem, und im nächsten

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