Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
Wiederaufbauarbeiten. Bevor neue Häuser errichtet werden können, muss halb Bingtown erst einmal abgerissen und abgetragen werden. Noch immer ist jeder zweite Laden auf dem Großen Markt eine ausgebrannte Ruine.«
»Und im Sommer stinken die verkohlten Häuser umso schlimmer. Ich weiß. Gestern habe ich versucht, dort eine Teestube zu finden, wo man draußen sitzen kann, aber der Gestank hat mich in die Flucht geschlagen. Mir ist schon klar, dass der Ponywagen die vernünftigere Lösung ist. Genauso, wie es vernünftig ist, Alise Kincarron zu heiraten. Deshalb muss ich beides noch lange nicht mögen, höchstens ertragen. Das eine kann ich dir sagen, Sedric, ich bin gerade einmal seit ein paar Monaten vernünftig, aber ich habe schon gehörig die Schnauze voll davon.« Mit einem Ächzen ließ er sich gegen die niedere Lehne fallen, richtete sich aber sogleich wieder auf, stieß einen Laut des Unmuts aus und rieb sich den schmächtigen Rücken. »Eine unbequemere Art, sich fortzubewegen, wurde nie erfunden. Warum um alles in der Welt haben die Kincarrons ihr Haus so weit vom Zentrum entfernt gebaut?«
»Vielleicht weil sie dieses Stück Land ursprünglich vom Satrapen bekommen haben. Immerhin hatten sie dadurch einen Vorteil, denn den Plünderern und Mordbrennern war der Weg hierher auch zu weit und mühsam.«
»Dass dieses hässliche Haus heil geblieben ist, entschädigt nicht für den Umstand, in einer verlassenen Gegend zu wohnen. Haben die nie daran gedacht, in ein besseres Viertel zu ziehen?«
»Ich glaube nicht, dass sie über die nötigen Mittel verfügt hätten.«
»Da hat es wohl an kluger Planung gemangelt. Hätten sie ein paar Töchter weniger bekommen und an der Aussteuer gespart, könnten die Söhne in einem besseren Anwesen wohnen.«
Auf das Klagen seines Freundes ging Sedric gar nicht ein. Locker hielt er die Zügel in den gebräunten Händen und lenkte das Pferd so, dass sie den Schlaglöchern in der Straße entgingen. »Also. Muss ich dir alle Einzelheiten aus der Nase ziehen? Wie ist es denn mit deinem Antrag gelaufen? Hast du herausbekommen, wieso die Dame eine so überaus gute Partie wie dich mit Missachtung gestraft hat?«
»Es war so, wie du vermutet hast. Ich gebe es nur ungern zu, doch deine Schwäche für Bingtowns Tratsch und Nichtigkeiten haben sich mal wieder ausgezahlt. Eigentlich wäre Alise lieber den Regenwildfluss hinaufgefahren und hätte den Drachen beim Schlüpfen zugesehen, als mich auf den Ball zu begleiten. Sie hat selbst zugegeben, dass sie von dem Studium der Drachen geradezu besessen ist. Offenbar hat sie nicht geglaubt, noch einen Mann zu finden, und sich absichtlich auf dieses ausgefallene Thema gestürzt, um sich die Zeit als alleinstehende Frau zu vertreiben. Ich habe nicht nur ihre Träume vom Altjungferndasein zunichtegemacht, sondern, indem ich sie boshafterweise gebeten habe, mich zum Ball zu begleiten, auch die einzige Gelegenheit, das Schlüpfen der Drachen zu beobachten. Deshalb bin ich ein gemeiner Hund. Das tut mir natürlich unendlich leid.«
Sedric warf einen Seitenblick auf seinen Freund, der sich normalerweise um nichts und niemanden scherte. Doch Hest wirkte ernst. »Dann muss ich dir also jedes Detail einzeln entlocken, was? Hast du etwas erreicht? Wird sie dich zum Ball begleiten?«
»Oh, sie wird sogar noch mehr tun.« Hest streckte sich beiläufig. Als er sich zu Sedric umwandte, bedachte er ihn mit einem Grinsen in voller Breite. Seine grünen Augen funkelten vor Vergnügen. »Das Geschenk, das du mir vor geschlagen hast, hat vollständige Wirkung gezeigt. Ein Blick darauf hat gereicht, und sie hat meinen Antrag angenommen. Ihren Vater um ihre Hand zu bitten, wird eine reine Formalität darstellen, wie sie selbst gesagt hat. Du kannst mir gratulieren, mein Freund. Ich werde heiraten.« Beim letzten Satz wurde sein Tonfall plötzlich kälter und wollte nicht recht zu seinen Worten passen.
Sedric biss sich einige Augenblicke auf die Unterlippe, um seine Betroffenheit zu unterdrücken. Dann sagte er leise: »Gratuliere. Ich wünsche euch beiden alles Glück der Welt.«
Hest warf ihm einen finsteren Blick zu. »Nun, ich kann nicht für sie sprechen, ich jedenfalls habe durchaus vor, glücklich zu werden. Denn mit der Heirat soll sich nichts in meinem Leben ändern. Und wenn sie klug ist, entscheidet sie sich für dasselbe Glück. Ein besseres Angebot wird sie nicht bekommen. Ach, schau mich nicht so tadelnd an, Sedric! Du selbst hast mir
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