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Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter

Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter

Titel: Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Mutter gehasst hatte. Auf allen Zweigen hatten die Künstler ihre Werke ausgestellt. Der ärmste Stadtteil wurde reich an Schönheiten. An jeder Kreuzung hingen Windspiele, und die Geländer entlang der Stege waren mit bunten Bändern und Perlen geschmückt. Auf die Borken der Äste, auf denen die wackeligen Behausungen standen, waren Gesichter gemalt. Selbst die Kammern ihrer Wohnung wurden bunt, denn ihr Vater vermochte das wenige, was er erntete, oft nur im Tausch zu veräußern. Lange bevor Diana für ihre Webkünste berühmt wurde, hatte Thymara bereits eine Jacke und einen Schal getragen, von der Künstlerin mit ihren geschickten Fingern gefertigt. Und die geschnitzte Truhe, in der Thymara ihre Kleider aufbewahrte, stammte von Raffles höchstpersönlich. Sie liebte diese Dinge nicht wegen ihres Werts, sondern weil sie gewagt und neu waren. Erst viel später hatte ihre Mutter sie zu diesen erstaunlichen Preisen verkaufen können, die Thymara allerdings nicht über den Verlust hinweggetröstet hatten.
    Laut ihrem Vater war dann das passiert, was immer in einem solchen Fall passierte: Die reichen Gönner der Künstler begannen, die Vogelnester aufzusuchen. Sie gaben sich aber nicht damit zufrieden, die Kunstwerke zu kaufen, sondern erstanden gleich auch noch den Lebensstil der Künstler. Bald schon lebten die Söhne und Töchter der reicheren Familien der Regenwildhändler in den Vogelnestern und benahmen sich, als wären sie Künstler, auch wenn sie keine Kunst hervorbrachten, sondern lediglich Lärm, Verkehr und den wilden Ruf dieses Stadtteils. Ihre Familien vermochten weit höhere Mieten zu bezahlen als Thymaras Vater. Und die Reichen, die dort ihre Ferienwohnungen hatten, verlangten nach sichereren Stegen und breiteren Astwegen. Entsprechend stiegen die Steuern. In den umliegenden Bäumen machten sich Geschäfte und Kaffeestuben breit. Diejenigen unter den Künstlern, die den Durchbruch geschafft hatten, waren begeistert, denn sie wurden reich und berühmt. »Aber wegen der hohen Mieten wurden wir vertrieben. Wir konnten uns die Steuern nicht mehr leisten, geschweige denn das Essen in den Kaffeestuben. Wir mussten alle Kunstwerke verkaufen, die mein Vater im Tausch erhalten hatte, kramten alles Ersparte zusammen und zogen weiter nach oben.« Sie reckte den Kopf und spähte in die Höhe. Dort schimmerten nur wenige kleine Lichter aus den winzigen Hütten. »Wenn wir das nächste Mal vergrault werden, landen wir vermutlich im Wipfel. Dort oben kriegst du zwar jeden Tag Sonne, aber ich habe gehört, dass die Hütten unablässig im Wind schwanken.«
    »Das wäre nichts für mich«, pflichtete ihr Tats bei.
    »Natürlich nicht. Aber ich mag es hier in den Grillenkäfigen. Wir bekommen genug Regenwasser ab, sodass wir es nicht heraufschleppen oder von den Wasserträgern kaufen müssen. Meine Mutter hat uns ein Badenetz geflochten, als wir hierherzogen, und wenn das Wasser im Sommer warm ist, ist es herrlich. Am Rand des Beckens wächst Moos, und wir bekommen Besuch von kleinen Fröschen, Schmetterlingen und Eidechsen, die sich sonnen. Und man muss nicht weit klettern, um zu den Blumen zu gelangen, die im Sonnenlicht gedeihen. Wenn ich die finde, bringt sie meine Mutter den Stamm hinunter und verkauft sie auf den Märkten, wo die Leute selten einmal Blumen aus den Wipfeln zu Gesicht bekommen.«
    Als hätte die Erwähnung ihrer Mutter sie heraufbeschworen, schnitt ihre scharfe, zornige Stimme durch den friedlichen Abend. »Thymara! Du kommst sofort. Auf der Stelle!«
    Thymara stand mit einer fließenden Bewegung auf. In der Stimme ihrer Mutter lag etwas Eigentümliches, mehr als nur ihr üblicher Ärger. Eine Spur von Furcht oder Gefahr, die Thymara zusammenzucken ließ.
    »Warte kurz«, sagte Tats und löste sich von dem Ast.
    »Thymara!«
    »Ich muss jetzt gehen!«, rief sie. Mit zwei raschen Schritten ging sie auf ihn zu. Als sie ihre Hände auf Tats Schultern legte und leichtfüßig über ihn hinwegsetzte, stieß dieser ein Japsen aus. Sie kam auf dem schwankenden Zweig auf und raste darauf weiter in Richtung Stamm. Da ging ihr etwas durch den Kopf, was ihr Vater einmal zu ihr gesagt hatte. Du bist für das Blätterdach gemacht, Thymara. Dafür brauchst du dich niemals zu schämen! Jetzt empfand sie zum ersten Mal einen eigenartigen Stolz deswegen. Tats war sichtlich erschrocken über ihre Gewandtheit. Und seine Schultern waren warm gewesen, als sie sie berührt hatte.
    »Kann ich dich morgen sehen?«, rief er

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