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Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter

Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter

Titel: Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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belaubten Zweige, die sie von den Blicken der Nachbarn abschirmten, aber auch eine ungehinderte Sicht auf den Himmel und den Boden verwehrten. »Ich habe dich nie für arm gehalten«, sagte er. »Ich dachte immer, dass du hier oben ein gutes Leben hast.«
    »Für mich ist es auch nicht so schlimm. Für meine Mutter ist es schwieriger. Denn sie war an einen luxuriöseren Lebensstil gewöhnt, mit Festlichkeiten, schönen Kleidern und angenehmen Dingen. Aber ich vermisse andere Sachen, die wir dort gehabt haben. Vielleicht ist es auch nur das Alter, in dem ich damals war. Jedenfalls hatte ich da unten viel mehr Freunde. Vermutlich hat sich niemand so sehr um die Frage nach Klauen oder Nägeln geschert, als wir alle jünger waren. Wir haben einfach nur gespielt, auf den Plattformen zwischen den Etagen. Mein Vater hat mir die Schule bezahlt. Sogar die Bücher hat er mir gekauft, obwohl die meisten anderen sie nur wochenweise gemietet haben. Die Leute meinten, er würde mich verwöhnen, und meine Mutter tobte über die unnötigen Ausgaben. Und wir gingen aus. Einmal sind wir den Stamm hinuntergestiegen, um ein Theaterstück anzusehen, das Schauspieler aus Jamaillia aufgeführt haben. Auch wenn ich nicht begriffen habe, um was es ging, waren die Kostüme wunderschön. Ein anderes Mal sind wir zu einem großen Fest gegangen, mit Musik, Schauspiel, Gauklern und Sängern! Das habe ich geliebt. Die Bühne hing in einer freien Stelle zwischen einigen Bäumen und war genau wie die Sitze an einem festen Netz aus Tauen aufgehängt. Da habe ich zum ersten Mal begriffen, wie groß Trehaug eigentlich ist. Die Zweige und Blätter unter uns haben zwar die Sicht auf den Boden versperrt, doch an einer Stelle konnte man auf den Fluss sehen. Und durch eine Lücke im Blätterdach gab es einen kleinen Ausblick auf den schwarzen Himmel und alle möglichen Sterne. Gleichzeitig blitzten ringsum in den Bäumen die Lichter von Tausenden Häusern, und die Stege zwischen den Stämmen waren von Laternen erleuchtet und haben ausgesehen wie Diamanthalsketten.« Thymara schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken, um sich ganz der Erinnerung hinzugeben.
    »Einmal im Monat sind wir alle zusammen zum Abendessen in Grassaras Gewürzbasar gegangen und hatten Fleisch als Hauptgericht. Ein ganzes Stück Fleisch nur für mich, und eines für meine Mutter und eins für meinen Vater.« Sie schüttelte den Kopf. »Doch selbst dann war meine Mutter unzufrieden. Aber ich glaube, das war sie schon immer und wird es auch immer sein. Ganz gleich, wie viel wir haben, sie will immer mehr.«
    »Klingt nicht ungewöhnlich für mich«, sagte Tats. Als sie die Augen öffnete, war sie überrascht, dass er näher an sie herangerückt war, ohne dass sie es gespürt hatte. Er wurde immer besser darin, sich auf den Zweigen zu bewegen. Bevor sie ihm ein Lob dafür aussprechen konnte, fragte er: »Und wann hat sich alles geändert?«
    »Es hat sich geändert, als mein Vater damit anfing, immer mehr Dinge anzubauen. Mir ist, als wären wir jedes Jahr ein Stück höher und weiter vom Zentrum weggezogen.« Sie sah Tats an. Er saß breitbeinig auf dem Ast und hatte die Füße verschränkt. So hatte er sicheren Halt, wirkte aber angespannt. Die Intensität, mit der er sie betrachtete, machte sie verlegen. Starrte er auf ihre Schuppen? Auf die winzigen Schuppen, die ihre Lippen säumten, auf die Fransennoppen, die ihr Kinn akzentuierten? Sie wandte das Gesicht von ihm ab und richtete ihre Worte an die Bäume: »Bevor wir in die Grillenkäfige gezogen sind, wohnten wir in den Vogelnestern. Früher war das die ärmste Gegend in Trehaug. Doch dann sind die Tätowierten und andere Zuwanderer gekommen, und wir wurden von dort verdrängt.«
    Die Häuser in den Vogelnestern hatten aus einem einzigen Raum bestanden, gebaut aus Latten, zwischen die Ranken geflochten waren. Über luftige, schmale Stege musste man sich erst einige Etagen tiefer arbeiten, bis man die breiten Äste und Brücken der besseren Gegenden erreichte. »In den Vogelnestern haben wir gerade einmal ein paar Jahre gewohnt, als eine Welle Künstler und Handwerker gekommen ist. Viele von ihnen waren Tätowierte, die frisch in die Regenwildnis gezogen waren, sich keine teuren Mieten leisten konnten und Wohnviertel brauchten, wo sich die Nachbarn nicht über Lärm, Feste und ihren seltsamen Lebensstil beschwerten.« Thymara lächelte vor sich hin. Sie hatte das Leben in den Vogelnestern in dem Maße genossen, wie es ihre

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