Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer
Carson ihn nicht beleidigen, sondern nur auf die dreifache Freude hinweisen wollte. Doch das war ein geringer Trost. In den letzten eineinhalb Tagen hatte er begonnen, sich in einem anderen Licht zu betrachten, und was er erblickte, war wenig schmeichelhaft. Da half auch kaum die Erinnerung daran, wie geschickt und schlau er in den Geschäftskreisen Bingtowns vorzugehen wusste. In den gediegeneren Wirtshäusern wurde allenthalben sein lieblicher heller Tenor geschätzt, mit dem er Trinklieder anstimmte, und die Weinläden reservierten ihre besten Tropfen für ihn. Sein Geschmack, was Seide anging, war unanfechtbar. Und wenn Hest ihm die Planung seiner Reisen übertrug, liefen diese stets einwandfrei ab.
Doch hier spielte all dies keine Rolle. Früher hätte es ihn nicht gekümmert, ob Carson ihm Anerkennung zollte oder nicht. Er hätte sich damit zufriedengegeben, die langweiligen Tage auf dem Kahn bis zur Rückkehr nach Bingtown und in sein eigentliches Leben auszusitzen. Jetzt aber verlangte es ihn danach, sich auf anderem Terrain als dem Verhandlungstisch hervorzutun. Oder dem Schlafzimmer. Wieder war da dieser Gedanke, und dieses Mal verdrängte er ihn nicht. Hatte Hest ihn als Geschäftspartner wirklich geschätzt? Oder hatte er ihn nur an seiner Seite behalten, weil er im Bett gefügig war und ihn unterhielt?
Neben den Booten watete der Kupferdrache durchs flache Wasser. Inzwischen war der Fluss beinahe auf seinen alten Stand herabgesunken. Relpda schien froh zu sein, wieder stromaufwärts zu wandern. Bald würde sie wieder bei den anderen Drachen sein, und die endlose Reise fortsetzen. Sie stapfte voran, manchmal hob sie den Schwanz aus dem Wasser, manchmal schleifte sie ihn hinter sich her. Sie klammerte sich beständig an seinen Geist wie ein kleines Kind, das den Rocksaum seiner Mutter gefasst hielt. Er spürte sie, ohne dass sie allzu weit in seinen Kopf eindrang. Im Moment schien ihr die Sonne auf den Rücken, sie hatte Morast unter den Füßen und wurde allmählich hungrig. Bald würden sie ihr etwas zu fressen suchen müssen, damit sie nicht aufsässig wurde. Noch aber hatte die Drachin alles, was sie wollte, und war zufrieden. Sie war ein Wesen, das so sehr im Augenblick lebte, dass sie ihn beinahe bezauberte – doch dann fiel ihm ein, wie bar jeglicher Moral sie war.
Fast wie Hest.
Dieser Gedanke überrumpelte ihn und brachte seinen Ruderrhythmus durcheinander. Er sah geradewegs nach vorne und versuchte herauszufinden, ob er eine entscheidende Entdeckung gemacht hatte oder sich einfach nur mal wieder seiner Wut über Hest hingab. Dann straffte sich das Seil zwischen den Booten, und Sedric wurde auf der Ruderbank mit einem Ruck zurückgeworfen. Carson drehte sich zu ihm um und ließ zu, dass die Strömung ihn auf Höhe seines eigenen Boots trieb. »Seid Ihr müde? Wenn Ihr erschöpft seid, können wir eine Weile unter den Bäumen Rast machen.« Die braunen Augen sahen ihn mitfühlend an. Der Jäger wusste, dass Sedric keine körperliche Arbeit gewohnt war. Am Morgen hatte er ihm angeboten, sich mit ihm in sein Boot zu setzen. Er würde dann für zwei rudern und das leere Boot schleppen.
Das hätte Sedric jetzt zu gern getan. Er hätte nur zugeben müssen, dass er ein Schwächling war und hier draußen nicht überleben konnte. »Nein, ich habe mich nur an der Nase gekratzt. Entschuldigt!«
»Nun, lasst mich wissen, wenn Ihr eine Rast braucht.« Sedric suchte nach Spott in seinen Worten, fand aber keinen. Es war ein simples Angebot. Der Jäger legte sich wieder in die Riemen und ruderte voraus.
Auch Sedric legte sich ins Zeug. Carsons Blick war wieder auf den Fluss gerichtet. Sedric betrachtete den Rücken des Jägers und versuchte, dessen Ruderbewegungen nachzuahmen. Die breiten Schultern und muskulösen Arme bewegten sich unablässig und mit der scheinbaren Leichtigkeit eines atmenden Tieres. Beim Rudern drehte sich sein Kopf leicht hin und her. Er beobachtete das Wasser, die vorbeiziehenden Bäume, den Drachen und wieder das Wasser. Da fiel Sedric auf, dass Carson wie der Drache war. Er konzentrierte sich auf das, was er tat, und das tat er gut und war zufrieden damit. In diesem Augenblick war Sedric von reinstem Neid erfüllt. Wäre sein eigenes Leben doch auch nur so einfach!
Konnte es das sein?
Natürlich nicht.
Sein Leben war verkorkst. Er befand sich weit draußen in der Wildnis, fern von jedem Ort, wo seine Fähigkeiten etwas zählten. Er hatte einem Drachen Blut geraubt, und
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