Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer
Betroffenheit sprachlos. Dann war ihm klar, was er zu tun hatte. Er musste seine letzte Waffe gegen ihre blinde Verliebtheit einsetzen.
»Alise, du glaubst, ihn zu kennen. Du glaubtest, mich zu kennen. Und Hest. Aber wir haben dich jahrelang betrogen, und du hast nie Verdacht geschöpft. Das tut mir aufrichtig leid. Und deshalb will ich dich davor bewahren, auf dieselbe Sorte Betrug ein zweites Mal hereinzufallen. Leftrin ist deiner nicht wert, Alise. Du musst dich von ihm fernhalten.«
In dem trüben Dämmerlicht konnte er nur das Heben und Senken ihrer Schultern sehen. Sie schien ein Schluchzen zu unterdrücken und holte dann tief Luft. Ihre Stimme brach, als sie sagte: »Habe ich dir gesagt, dass ich dich nicht hasse, Sedric? Da habe ich mich wohl geirrt.«
»Dann hasse mich«, gab er zurück. »Das habe ich wahrscheinlich verdient. Das ist der Preis, den ich dafür zahlen muss, dass ich dich jahrelang hintergangen habe. Aber verschwende dich nicht an diesen üblen Kerl, Alise. Du hast etwas Besseres verdient.«
Sie gab ihm keine Antwort. Er hörte nur, wie sie die Tür schloss, nachdem sie hinausgegangen war.
Lange blieb er im Dunkeln sitzen. Einem Reflex folgend hob er den Becher an die Lippen und leerte den Rest kalten bitteren Kaffees. Er stand auf und wollte hinausgehen, doch dann fiel sein Blick noch einmal auf das Geschirr auf dem Tisch. Das sollte er vielleicht sauber machen, damit er nicht länger der verwöhnte Nichtsnutz aus Bingtown blieb, wie man ihm vorwarf. Morgen vielleicht. Nicht heute Abend. Das Gespräch mit Alise hatte ihn erschöpft. Seine Niedergeschlagenheit zermürbte ihn und erfüllte ihn mit einer Mattigkeit, die nichts mit Schlafbedürfnis zu tun hatte. Er wünschte sich, er könnte für eine Weile die Zeit anhalten. Er seufzte und kratzte sich an der Wange. Morgen wäre mehr Wasser zum Waschen an Bord. Dann könnte er etwas davon warm machen und sich rasieren. Nie zuvor hatte er einen Bart gehabt und deshalb war ihm nicht bewusst, wie sehr das juckte. Wieder kratzte er sich, diesmal etwas energischer.
Unter seinen Nägeln lösten sich Haare. Er schüttelte sie von der Hand, und im Mondlicht, das durchs Fenster hereinfiel, schimmerten sie kurz auf, bevor sie zu Boden fielen. Was war das? Nie zuvor hatte er Haare verloren! Jetzt kratzte er sich am Kopf, und als er die Hand wegnahm, baumelten einige lange Strähnen an seinen Nägeln.
Die ganzen Aufregungen und Ängste, redete er sich ein. Die Folgen des sauren Wassers. Das war alles. Dann schabte er sich behutsamer am Kinn. Dabei blieb sein Fingernagel unter etwas Hartem hängen und schob es ein Stück nach oben. Nein. Vorsichtig ertasteten seine Finger die nächste Schuppe. Wieder fuhr er darunter und hob sie so weit an, bis es schmerzhaft gegen die Haut drückte. Kein Schmutz, keine ausgetrocknete Haut. In seinem Gesicht wuchs eine Schuppe. Mehrere gar, entlang seines Kinns. Ihm wurde schlecht und die Welt drehte sich im Kreis.
Er griff sich in den Nacken und spürte auch dort Schuppen, die entlang seiner Wirbelsäule hervorsprossen. Noch waren sie ganz fein und flach wie die Schuppen einer Forelle. Auch auf dem Kopf wuchsen ihm kleine Plättchen, und wo sie hervortraten, fiel ihm das Haar aus. Dann tastete er seine aufgesprungenen Lippen ab. Dort waren noch keine. Sein Atem ging schneller. Dann war es nur mehr eine Frage der Zeit, und die Schuppen auf seinem Kinn, seiner Stirn und im Nacken würden dicker und schwieliger werden und sich krümmen wie Hufe.
Bist du unglücklich?
Er verschloss energisch seinen Geist und verdrängte das kurze Gefühl der Verwirrung, das auf seine Ablehnung Relpdas folgte. Sein Puls pochte ihm laut in den Ohren. Konnte das wahr sein? Es war nur ein grauenhafter Traum. Er fasste sich ein Herz und kratzte sich mit beiden Händen heftig am Kopf. Als er sie herabnahm, hingen ihm Haarbüschel an den Fingern. Er schüttelte sie ab und verließ hastig die Kombüse, sodass die Tür krachend hinter ihm ins Schloss fiel.
Er machte sich auf den Weg in seine Kammer, blieb aber auf halber Strecke stehen. Was sollte er tun? Sollte er sich in seinen geliebten Käfig zurückziehen, sich auf seine Lumpenpritsche werfen und vor sich hinwimmern? Hatte er das in letzter Zeit nicht genug getan? Hatte er nicht gelernt, dass ihm das nicht weiterhalf?
Der Bug des Kahns lag auf dem Sand des Bachufers. Von hier sah man die Drachen und das Lagerfeuer, an dem die Hüter zusammensaßen, aßen und sich unterhielten. Sedric
Weitere Kostenlose Bücher