Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer
eine Träne abzuwischen. Wann hatte ihn das letzte Mal jemand mit schlichter Freundlichkeit berührt?
»Ich bekomme Schuppen.« Er musste die Worte herauspressen, und sie klangen schrill. Er konnte den Schrecken nicht verbergen. »An meinem Kinn. Und im Nacken.«
»Normalerweise passiert das bei Erwachsenen nicht. Lasst mich mal sehen.« Carson stützte sich auf den Ellbogen und sah aufmerksam auf ihn herab. Er ließ seine Finger über Sedrics Kinn wandern. »Hm. Ihr könntet recht haben. Da sind kleine Schuppen.« Er schmunzelte. »Euer Bart ist weich wie das Fell eines Welpen. Lasst mich in Eurem Nacken nachsehen.« Er schob die Hand unter Sedrics Kopf und strich ihm über den Nacken. »Also habt Ihr Schuppen«, sagte er sanft.
Der Jäger holte tief Luft. »Das wird ja immer besser«, sagte er freundlich und hörte sich dabei zufrieden an. Das verletzte Sedric. Wieso freute Carson sich über sein Unglück? Und dann, während er Sedrics Nacken noch immer gefasst hielt, ließ der Jäger langsam seinen Mund auf seinen herabsinken und küsste ihn. Sedric erstarrte vor Verblüffung. Carsons Lippen waren zärtlich und zugleich drängend. Als er sie von ihm löste, stellte Sedric fest, dass Carson ihn in den Armen hielt, kraftvoll, aber nicht brutal. Der Jäger drückte ihn an sich. Und da zerbrach etwas in Sedric. Er vergrub das Gesicht im rauen Stoff von Carsons Hemd und weinte. Laute Schluchzer stiegen in ihm auf und ließen ihn jede Haltung verlieren. Er weinte um all die Dinge, von denen er geglaubt hatte, sie wären sein, die er aber nie besessen hatte. Er weinte um die Dinge, zu denen Hest ihn verleitet hatte. Er weinte, weil er Alise betrogen hatte, und über das, was er Relpda hatte antun wollen. Er weinte, weil er es plötzlich ohne Gefahr tun konnte. Der Jäger sagte nichts. Er zog ihn näher zu sich heran, blieb aber sonst regungslos. Als endlich die letzten Tränen hervorkamen, spürte er, wie ihn die Zuneigung der Drachin umgab.
Ich weiß, dass du mein Blut geraubt hast. Doch selbst damals wolltest du mich nicht töten. Du hast mein Blut getrunken und mir eine Verbindung zu deinem Geist eröffnet, um meine Gedanken zu entwirren. Das wird schon alles gut, Sedric. Ich werde dich nicht verraten. Niemand soll davon erfahren.
Die schlichte Vergebung durchströmte ihn wie eine Flut, die ihn noch machtvoller herumwirbelte und mit sich riss, als es die Wasserwoge getan hatte. Er konnte sich der Welle nicht widersetzen und merkte, dass er das auch gar nicht wollte. Eine Wärme jenseits aller Logik rauschte durch sein Inneres und spülte alle Schwierigkeiten hinweg, nahm ihm seine Verzweiflung und ließ nur Wohlbehagen zurück.
Da entspannte sich sein ganzer Leib.
Und Carson setzte ihm zwei Finger unters Kinn, schob seinen Kopf nach oben und küsste ihn noch einmal.
Nach einer Weile löste der Jäger seine Lippen und sagte heiser: »Falls du es dir anders überlegt hast und du dich doch nicht mehr umbringen willst, hätte ich eine Idee, was wir heute Abend sonst noch machen könnten.«
Sedric mühte sich, seine eigenen Gedanken wiederzufinden und sich an das zu erinnern, was ihn soeben noch mit solcher Verzweiflung erfüllt hatte. Der Versuch entging Carsons scharfen Augen nicht.
»Lass es«, riet er ihm sanft. »Lass es einfach. Nicht jetzt. Stell es nicht infrage, zaudere nicht.« Er rückte von Sedric ab und stand auf. Dann beugte er sich vor und hielt Sedric die Hand hin. Dieser ergriff sie, spürte die raue und schwielige Handfläche in seiner und ließ zu, dass Carson ihm aufhalf.
»Lass mich dich zu deiner Kammer bringen«, bot Carson ihm leise an.
»Ja.«
Thymara entfernte sich vom Lagerfeuer und ging in die Nacht hinaus. Eigentlich hätte es ein schöner Abend sein können. Die Luft war mild, ihr Bauch mit Fisch und Bachblättern gefüllt, und am Nachmittag hatte sie gebadet, ihre Haare gewaschen und nach Herzenslust klares Wasser getrunken. Sie hatte Sintara geschrubbt, bis die arrogante blaue Königin heller gestrahlt hatte als der Sommerhimmel. Komplimente hatte sie sich dabei allerdings verkniffen – umso schlimmer, dass Sintara sich anschließend zu ihr umgewandt und gesagt hatte: »Du hast recht. Kein anderer Drache kann sich mit mir vergleichen.«
Für das Putzen hatte Sintara sich mit keinem Wort bedankt. Innerlich hatte Thymara gekocht und war bald wieder abgezogen. Den restlichen Nachmittag hatte sie Tats, Harrikin und Sylve dabei geholfen, die hüterlosen Drachen zu pflegen. Was
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