Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer
bevor Kalo etwas sagen konnte, stürmte Sintara vor. Sie hob den Kopf und nagelte Thymara mit durchdringendem Blick fest. »Ich habe dich nicht aus meinem Dienst entlassen, Menschlein!« Sie wandte sich zu Kalo um, der an dem Angebot interessiert zu sein schien. »Es steht dir nicht frei, dieses Mädchen zu wählen. Sie ist von meinem Blut und von meiner Gestaltung. Du kannst sie nicht haben.«
»Von deinem Blut!« Thymara war empört. »Du hast mir kein Blut gegeben und mir auch nichts davon gesagt, dass du mich verwandeln würdest.«
»Nichtsdestotrotz besitzt du mein Blut und ich weiß um deine Veränderung. Ich muss dir das nicht sagen, wenn ich es nicht wünsche! Sie gehört mir, Kalo. Ich behalte sie. Such dir einen anderen.«
»Ich habe dir bereits gesagt, dass es keine anderen gibt!« Leftrin wollte mit donnernder Stimme sprechen, es gelang ihm aber nicht. Kalos Kopf schwebte über dem Schiff. Er musterte die zusammengedrängten Hüter, als wolle er ein Lamm aus einer Herde verängstigter Schafe auswählen. Da kam Sintara eine überaus deutliche Erinnerung. Das waren gute Zeiten gewesen, als man sich auf dem Weideland außerhalb Kelsingras hatte satt fressen können. Mit Hafer, der im Überfluss auf den Feldern angebaut wurde, hatte man Schafe und Kühe für sie gemästet. Und etwas weiter oben an den Hängen der nahen Hügel und Berge hatte es köstliche Ziegen gegeben. Kurz entführten sie ihre Gedanken in diese andere Zeit, als sie als Drachin nicht nur von einem einzigen Menschen gefüttert und gepflegt worden war, sondern von einer ganzen Stadt von Elderlingen und ihren menschlichen Dienern.
Vor dem Hintergrund dieser Erinnerung beobachtete sie, wie Kalo den Kopf senkte. Sie sah die Hüter zusammenzucken, so wie die Schafe sich einst vor den Drachen geduckt hatten. Doch Kalos Kopf zog an ihnen vorbei und wandte sich Leftrin, seiner Mannschaft und dem Jäger zu, die auf dem Dach des Deckshauses standen. Mit der Schnauze stieß er einen Jungen an, sodass dieser beinahe hinfiel. »Diesen da nehme ich.«
»Nein«, schrie Carson, doch bevor der Jäger ein weiteres Wort sagen konnte, rief der Junge: »Ja!« Davvie wandte sich zu Carson um und sagte schnell und entschieden: »Ich will es machen, Onkel.« Er sah zu den versammelten Hütern hinunter und grinste, als sein Blick von einem der Jungen dort erwidert wurde. Dann wandte er sich wieder an Carson: »Ich will Kalos Hüter sein.«
»Warum wählt er dich aus, Davvie?«, wollte Carson wissen.
Der Drache antwortete, bevor der Junge es tun konnte. »Ich habe ihn beobachtet, wenn er bei uns war. Er ist ein guter Jäger. Er zeigt keine Furcht. Ich nehme ihn.«
»Es wird alles gut«, sagte Davvie. »Du wirst schon sehen, Onkel. Ich glaube, das ist meine Bestimmung, auf die ich immer gewartet habe. Hier werde ich unter Freunden sein.«
»Du willst lieber bei den Drachen und deinen Freunden bleiben, als mit mir zu kommen?«
Davvie sah ihn an. »Ich kenne dich, Onkel. Auch du wirst bei ihnen bleiben.«
»Dann kann er ja mein Hüter sein!«, verkündete Fauch. »Wenn Kalo sich jemand als seinen Hüter bestimmen darf, dann kann ich das auch. Ich nehme Carson zu meinem Hüter, damit er mich versorgt und ich ihn so verändern kann, wie es mir beliebt. Gut, das wäre erledigt.«
»Nichts ist erledigt!«, brüllte Leftrin erneut, und diesmal donnerte er tatsächlich. »Wir sind doch nicht euer Vieh!«
»Leftrin. Es ist schon in Ordnung.«
Sintara war erstaunt, dass Carson Fauchs Forderung entsprechen wollte. Tat er es wegen des Jungen? Ihr entging nicht, dass der Jäger dem Jungen einen Blick zuwarf, dem Mann neben ihm, Sedric, allerdings gleich zwei Blicke. Wieso stand der Hüter überhaupt bei dem Jäger? Warum war er nicht bei den anderen Hütern? Das war sonderbar, aber sie hatte nicht den Eindruck, das Rätsel lösen zu müssen. Menschen waren schließlich nur Menschen. Ihr Verstand war durch ihre kurze Lebensspanne eingeschränkt. Vielleicht wollte Carson Fauch deshalb dienen. Denn es war so gut wie sicher, dass der Drache ihn in einen Elderling verwandeln würde. Der Mann hatte sich bereits ein wenig verändert, und er war nicht mehr so jung wie die anderen Hüter. Wollte Fauch einen Diener für einen angemessenen Zeitraum, musste er den Jäger verwandeln, um seine Lebensspanne zu verlängern.
So wie sie selbst Thymara verändern musste. Sintara ließ den Blick zu ihrer Hüterin gleiten. Ja. Was für Fauch vernünftig war, galt auch für sie. Sie
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