Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer
musste auf die Veränderungen bei dem Mädchen achten, wenn sie nicht tödlich enden sollten. Und wenn sie Thymara länger als ein kurzes Menschenleben behielt, sollte sie gleich auch dafür sorgen, dass sie ihr nicht nur nützlich, sondern auch dem Auge gefällig war. Sie untersuchte die Hüterin genauer, als sie es seit Tagen gemacht hatte, und erschrak fast vor dem, was sie wahrnahm. Nun, das war wahrlich außergewöhnlich, vor allem bei einer nicht gesteuerten Verwandlung. Sie erforschte ihre Erinnerungen, fand aber keine Beispiele für eine derart ungewöhnliche Entwicklung. Nun, die Veränderungen hatten eingesetzt. Jetzt konnte Sintara sie nur noch formen, aber nicht mehr rückgängig machen. Und das Mädchen würde es überleben – oder nicht, wie es bei Menschen eben immer so ging. Thymara erwiderte ihren Blick mit derselben Zurückhaltung, die sie gegenüber dem Mädchen empfand. Fast hätte sie es dafür ein wenig ins Herz geschlossen. Dieses Mädchen wollte nicht in ihrem Schatten kauern und sich verstecken. Das war gut so. Denn nach einer solchen Last stand ihr wahrlich nicht der Sinn.
»Mercor!«, setzte Leftrin an, aber der Drache achtete nicht auf ihn. Die Sache war abgemacht. Was immer der Mensch sagen wollte, war von geringer Bedeutung.
»Es ist Zeit aufzubrechen«, verkündete Mercor.
Sintara war nicht die Einzige, die einen wehmutsvollen Blick zu der Wärmestätte warf. Doch nachdem kein Drache mehr auf dem steinernen Bett lag, gab es auch keine Hitze mehr ab. Jetzt sah man nur noch eine rechteckige Wasserfläche in den Schilfwiesen. Sintara reckte den Kopf und schaute sich in der Gegend um. Sie versuchte, die Umgebung mit ihren Erinnerungen an Elderlinge und ihre Behausungen abzugleichen. Doch sollten Vorfahren von ihr hier gewesen sein, erinnerte sie sich entweder nicht mehr daran, oder die Gegend hatte sich so stark verändert, dass sie ihrem Gedächtnis nicht mehr auf die Sprünge half. Da keimte eine Furcht in ihr auf: Was, wenn Kelsingra inzwischen ebenfalls unkenntlich wäre? Was, wenn es die sagenhafte Stadt mit dem üppigen Weideland ringsum nicht mehr gab?
Mercor schien ihre Sorge zu spüren. »Das Wasser kommt immer irgendwoher und fließt abwärts. Wenn wir der Strömung entgegengehen, kommen wir zwangsläufig irgendwann in höhere Lagen. Irgendwo auf dieser Welt muss es einen Ort für Drachen geben. Und den werden wir finden.«
Kalo ließ einen schallenden Ruf vernehmen und setzte sich in Bewegung. Die anderen Drachen folgten ihm in einer Reihe. Keiner sah zurück, um sich zu vergewissern, dass der Kahn ihnen folgte. Es blieb ihm nichts anderes übrig.
Neunzehnter Tag des Goldmonds
IM SECHSTEN JAHR DES UNABHÄNGIGEN HÄNDLERBUNDS
Von Detozi, Vogelwart in Trehaug, an Erek, Vogelwart in Bingtown Anbei eine Einladung von der Händlerfamilie Dushank für Erek, Vogelwart in Bingtown, zu einem Besuch in unserem Heim in Trehaug, sobald es ihm möglich ist.
Erek,
bitte lasst weder meinen Vater noch meine Mutter wissen, dass ich diese kurze Nachricht auf die förmliche Einladung gekritzelt habe. Meine Eltern haben darauf bestanden, dass dies »wie es sich gehört« durchgeführt werden solle, wie es mein Vater bedeutungsschwer ausdrückt! Und deshalb sprechen Euch er und meine Mutter hiermit eine förmliche Einladung nach Trehaug aus, um unsere Familie zu besuchen. Ich hoffe, Ihr haltet sie nicht für aufgeblasen. Und bitte (ich erröte beim Schreiben dieser Zeilen) achtet nicht auf ihre Andeutungen, Euer Besuch gälte in erster Linie mir und nicht den Schlägen und den Vögeln. Ich fürchte, dass meine Eltern uns beide in Verlegenheit bringen werden, wenn wir ihnen nicht ganz deutlich sagen, was der Zweck Eures Besuches ist. Darüber hinaus muss ich Euch vorwarnen, dass mein Vater eine Tür für die Flugkäfige erfunden hat, die er für sehr ausgeklügelt hält. Sie erlaubt es den Vögeln tagsüber, nach Belieben hinaus-oder hineinzufliegen, in der Nacht aber stellt er sie so ein, dass sie zwar hineinfliegen können, nicht aber herausgelangen. Auf diese Erfindung ist er sehr stolz. Bitte antwortet so rasch es Euch möglich ist. Denn bevor wir nicht eine endgültige Antwort von Euch erhalten, werden sie mich wahrscheinlich stündlich löchern, ob ihr den Besuch wohl möglich machen werdet oder nicht.
Detozi
Zweiundzwanzigster Tag des Goldmonds
IM SECHSTEN JAHR DES UNABHÄNGIGEN HÄNDLERBUNDS
Von Detozi, Vogelwart in Trehaug, an Erek, Vogelwart in
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