Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer
konnte man kaum glauben, dass diese großen Flächen so kompakt zusammengingen und so dicht an ihrem Rücken anlagen. Nur wenn Insekten in die Falten krochen, juckte es, und durch das unablässige Waten im Fluss kam es wegen der Feuchtigkeit leichter zu wunden Stellen. Fraglos benötigten die Flügel eine tägliche Pflege, die die Drachin ihnen nur schwer selbst zukommen lassen konnte. Dennoch schien es Thymara, als habe es Sintara darauf angelegt, dass sie absurd viel Zeit auf sie verwendete. Wieder und wieder verlangte Sintara, dass Thymara die Farben und Muster lobte, die auf ihren Flügeln allmählich zum Vorschein kamen, dass sie die subtile Kraft des Knochengeflechts und die kleinen spitzen Klauen, die aus der Spitze eines jeden Rippenbogens ragten, beachtete.
Deshalb war sie müde, obwohl sie heute nicht selbst gerudert hatte, sondern auf dem Kahn geblieben war. Sie war erschöpft bis in die Knochen, überdies schmerzten die Hände und der Rücken mit der nicht verheilten Wunde. Doch an diesen Schmerz gewöhnte sie sich so langsam. Oft vergaß sie die Wunde, bis eine zufällige Berührung ihr einen qualvollen Stich versetzte. Verstohlen blickte sie sich um, und da niemand zu sehen war, schob sie die Hand unter das Hemd und tastete behutsam den Bereich zwischen ihren Schulterblättern ab. Heiß. Geschwollen. In der Mitte verlief eine hässliche schorfige Vertiefung, bei deren Berührung ihr übel wurde. Sie empfand es beinahe als Erleichterung, dass Tats zurzeit nicht mit ihr sprach und sie schon gar nicht küsste oder anfasste. Seine forschenden Hände von ihrem Rücken fernzuhalten, war gar nicht so leicht gewesen und hatte ihn völlig verwirrt. Sie hätte zulassen sollen, dass er sie an dieser Stelle berührte, dann wäre sein Mütchen schnell gekühlt gewesen.
Sie seufzte. Rapskal fiel ihr ein. Nicht zum ersten Mal vermisste sie ihn schmerzlich. Wenn er noch am Leben wäre, würde er heute Abend neben ihr sitzen und ihr etwas Verrücktes, Vergnügtes und Aufmunterndes ins Ohr plappern. Ohne irgendwelche Verpflichtungen oder Erwartungen war er ihr Freund gewesen. Sie hatte nichts dafür tun müssen, dass er sie gemocht hatte, und er war einfach immer davon ausgegangen, dass sie ihn mochte. Mit ihm war Freundschaft so einfach gewesen. Das vermisste sie. Und heute Nacht sehnte sie sich danach.
Sie wandte sich um und sah zur Mitte des Schiffs. An diesem Abend waren alle Hüter an Bord. Manche saßen auf dem Dach des Deckshauses. Sie hatten mit Würfeln gespielt, bis es zu dunkel geworden war, um die Augen abzulesen. Jetzt quälte Boxter die anderen damit, dass er ihnen von den Pfefferrollen erzählte, die seine Mutter immer gemacht hatte. Sylve, Kase und Alum kauerten neben einem Haufen Binsenwurzeln und zogen die zähe äußere Haut von den dicken Knollen, bevor sie sie an Bellin weiterreichten, die sie fürs Frühstück am nächsten Tag in kleine Stücke zerlegte. Thymara war bewusst, dass sie ihnen eigentlich helfen sollte.
»Greft. Können wir mit dir reden?«
Sie wandte sich um, als sie Tats’ Stimme hörte. Er und Harrikin waren von hinten an Greft herangetreten. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass er sich nicht weit von ihr auf die Reling stützte. In letzter Zeit war er ruhig, zurückgezogen und den anderen Hütern gegenüber feindselig gewesen. Man war ihm am besten aus dem Weg gegangen. Umso mehr war Verlass darauf, dass Tats ihn aus der Reserve locken wollte.
»Das habt ihr schon ein paarmal getan. Was sollte euch diesmal davon abhalten?«, gab Greft sarkastisch zurück. Er sprach undeutlich, und sie fragte sich, ob seine Lippen steif wurden. Ihr war zu Ohren gekommen, dass das bei sehr stark geschuppten Menschen vorkommen konnte. Seit Leftrin ihn geohrfeigt hatte, waren mehrere Tage vergangen. Das hätte mittlerweile wieder abklingen müssen.
»Uns ist aufgefallen, dass du heute nicht mit dem Boot draußen warst.«
»Habe mich nicht danach gefühlt.«
»Ja, gut, das habe ich mir gedacht. Deshalb werden Harrikin und ich es morgen nehmen, um Fische zu fangen oder ein paar von den Wasserhörnchen, die wir kürzlich gesehen haben. Vielleicht sogar einen Gallator. Die Drachen halten sie anscheinend für schmackhaft. Jedes Stück Frischfleisch für Hüter und Mannschaft wäre hochwillkommen.«
Ihr fiel auf, dass er Greft nicht fragte, ob er es nehmen durfte. Stattdessen teilte er ihm mit, dass sie es so machen würden. Auch wenn Harrikin nichts sagte, stand er doch bereit, um Tats beizuspringen.
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